Ex libris Latein-Textband

134 Mythos und Rezeption | Ovids „Metamorphosen“ Apollo und Daphne Nachdem Apollo den Pythondrachen besiegt hat, kommt es zu einer verhängnis- vollen Auseinandersetzung mit Amor: Primus amor Phoebi a Daphne b Peneïa c , quem non fors ignara 1 dedit, sed saeva Cupidinis d ira. (…) Apollo verspottet Amor, der gerade seinen Bogen spannt. Er meint, solche Waffen seien nichts für kleine Kinder, er solle lieber mit dem Feuer Liebe entfachen. Amor rächt sich, indem er mit seinen Pfeilen dafür sorgt, dass Apollo sich hoffnungslos in die Nymphe Daphne verliebt, diese jedoch nichts von Männern, auch nicht von Apollo, wissen will. Phoebus a amat visaeque cupit conubia 2 Daphnes b , quodque 3 cupit, sperat, suaque illum oracula fallunt, utque leves stipulae 4 demptis adolentur aristis 5 , ut facibus saepes 6 ardent, quas forte viator vel nimis admovit vel iam sub luce 7 reliquit, sic deus in flammas abiit, sic pectore toto uritur et sterilem 8 sperando nutrit amorem. (…) Daphne lebt als Nymphe im Wald. Sie ist eine Anhängerin der Göttin Diana und kümmert sich nicht um ihr Aussehen. Trotzdem ist ihre Schönheit unübersehbar. Als Daphne davonläuft, folgt ihr Apollo und spricht sie an: „Nympha, precor, Peneï e , mane! Non insequor hostis; nympha, mane! Sic agna lupum, sic cerva leonem, sic aquilam penna fugiunt trepidante columbae, hostes quaeque 9 suos: Amor est mihi causa sequendi! (…)“ Ovid, Metamorphosen 1,452–507 (gekürzt; Versmaß: Hexameter) I 1 ignarus, -a, -um: hier : blind 2 conubium, -i n. (+ Gen.): Vereinigung (mit) 3 quodque = et quod (was) 4 stipula, -ae f. : Stroh(halm) 5 arista, -ae f. : Ähre 6 saepes, saepis f. : Hecke 7 sub luce: knapp vor Tages- anbruch 8 sterilis, -e: fruchtlos, unerwidert 9 quisque, quaeque: jeder/jede a Phoebus, -i m. : Phoebus (anderer Name für Apollo ) b Daphne, -es f. : Daphne (Nymphe, Tochter des Flussgotts Peneus) c Peneïa, -ae f. : Tochter des Peneus d Cupido, Cupidinis m. : Cupido (anderer Name für Amor) e Peneïs, Peneïdis f. : Peneustochter ( Vokativ: Peneï) 2 4 6 8 10 12 14 Das epische Gleichnis Zu den wichtigsten epischen Stilmitteln gehört seit Homer das epische Gleichnis. Dabei wird ein Sachverhalt durch einen anderen, der aus einem völlig anderen Bereich stammt, veranschaulicht: Häufig sind Gleichnisse aus der Tierwelt. Gleichnisse finden sich bei allen großen griechischen und römischen Epikern vor Ovid. Ein Gleichnis dient einerseits der Veranschaulichung des Geschehens, anderseits ist es auch oft ein „retardieren- des Moment“ – der Leser will wissen, wie es weitergeht, das Gleichnis zögert den Fortgang der Handlung hinaus. Bei den Gleichnissen in den obigen Texten verwendet Ovid gängige Motive. Keine Vorbilder hat er freilich für das Gleichnis, das er in der Erzählung von Pyramus und Thisbe heranzieht (vgl. S.138–139). Nur z Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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