Ex libris Latein-Textband

120 Formen der Lebensbewältigung | Christentum und Rom Aurelius Augustinus Aurelius Augustinus (354–430) stammte aus Thagaste im heutigen Algerien. Sein Vater Patricius war Heide, seine Mutter Monnica Christin. Er galt als sehr begabt und durfte studieren, erst im nahen Madauros, dann in der Großstadt Karthago. Als Rhetoriklehrer machte er Karriere und wurde erst nach Rom und später nach Mailand berufen, wo der Kaiser zu dieser Zeit residierte. Schon davor gehörte er einige Jahre der bei Intellektuellen damals sehr beliebten Sekte der Manichäer an, deren Lehren ihn aber auf Dauer nicht überzeugen konnten. In Mailand schließlich traf er auf Bischof Ambrosius, unter dessen Einfluss er sich zum Christentum bekehrte und sich zu Ostern 387 taufen ließ. Augustinus kehrte nach Nordafrika zurück, um fortan sein Leben in einer Art von klösterlicher Gemeinschaft zuzubringen. Als er jedoch in die Stadt Hippo Regius im heutigen Algerien kam, drängte das Volk den für seine rhetorischen Fähigkeiten berühmten Mann als Prediger zu bleiben. Nach dem Tode des örtlichen Bischofs wurde Augustinus dessen Nachfolger und entwickelte sich sodann zu einer über die Grenzen Nordafrikas hinaus be- kannten kirchlichen Autorität. Darum rechnet ihn die Kirche bis heute zu- sammen mit Hieronymus, Ambrosius und Papst Gregor der Große zu den lateinischen Kirchenvätern. Augustinus starb 430, als seine Bischofsstadt gerade von den Vandalen belagert wurde. Der Kirchenvater Augustinus, Wand- malerei von Nicoletto Semitecolo, 14. Jh., S. Maria dei Servi, Venedig Bei seiner Suche nach Weisheit und Wahrheit wendet sich der Student Augustinus zunächst der Bibel zu: Itaque institui animum intendere in scripturas sanctas, et videre, quales essent. Et ecce video rem non compertam 1 superbis neque nudatam 2 pueris, sed incessu 3 humilem, successu 4 excelsam, et velatam 5 mysteriis, et non eram ego talis, ut intrare in eam possem aut inclinare cervicem ad eius gressus 6 . Non enim sicut modo loquor, ita sensi, cum attendi ad illam scripturam, sed visa est mihi indigna, quam 7 Tullianae a dignitati compararem. Tumor 8 enim meus refugiebat modum 9 eius, et acies 10 mea non penetrabat interiora eius. Verumtamen illa erat, quae 11 cresceret cum parvulis, sed ego dedignabar 12 esse parvulus et turgidus 13 fastu 13 mihi grandis videbar. Augustinus, Confessiones 3,5 II 1 compertus, -a, -um: verständlich 2 nudatus, -a, -um: offengelegt 3 incessus, -us m .: Hinein- gehen 4 successus, -us m. : Weiter- gehen 5 velare 1 : verhüllen 6 gressus, -us m .: Eingang 7 quam (+ Konj .) = ut eam (+ Konj .) 8 tumor, -oris m .: Aufgebläht- heit 9 modus, -i m .: rechtes Maß 10 acies, -ei f .: Sehvermögen 11 quae (+ Konj .) = ut ea (+ Konj .) 12 dedignari 1 : verschmähen 13 turgidus (-a, -um) fastu: von Hochmut aufgebläht 2 4 6 8 10 Reproduktion, Transfer und Reflexion • Beschreibe, was die Lektüre Ciceros (Abschnitt I) und was die Lektüre der Bibel (Abschnitt II) beim Studenten Augustinus auslöst. Erläutere die hier auftretende Problematik (R, X) . • Stelle Erkundigungen über die Sekte der Manichäer an, die sich damals bei Gebildeten großer Beliebtheit erfreute, und berichte darüber (T) . a Tullianus, -a, -um: Ciceros Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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