Ex libris Latein-Textband

113 Seneca, ein Philosoph der Kaiserzeit | Formen der Lebensbewältigung Christentum und Rom Die Entstehung des Christentums Das Christentumwar ursprünglich eine Splittergruppe innerhalb des Judentums. Seine Anhänger folgten Jesus von Nazareth, der als Wanderprediger im Gebiet des heutigen Israel umherzog und das nahende Reich Gottes verkün- dete. Seine Lehren zielten auf eine radikale Erneuerung des Judentums, weshalb er in Widerspruch zu den dama- ligen religiösen Autoritäten geriet. Er wurde der römischen Staatsmacht ausgeliefert und als Unruhestifter durch Kreuzigung hingerichtet. Seine Bewegung war damit freilich nicht am Ende. Denn in seinem engsten Umfeld herrschte die feste Überzeugung, dass er den Tod besiegt habe und auferstanden sei. Den Christen gilt Jesus daher als Gottes Sohn, der als „Messias“ (griech. „Christós“, deutsch „der Gesalbte“) der Welt die Erlösung geschenkt hat. Dieser Glaube fand rasch Verbreitung. Eine wichtige Rolle dabei spielte der Apostel Paulus, der sich mit der Ansicht durchsetzte, dass die Erlösung nicht allein dem Volk der Juden, sondern allen Menschen geschenkt sei. Paulus unternahm insgesamt vier Missionsreisen im Osten des Römischen Reichs, die in der Apostelgeschichte beschrie- ben sind. Jesu Leben und Wirken ist dagegen in den Evangelien niedergeschrieben worden. „Im Anfang war das Wort“ Am Beginn des Johannesevangeliums steht ein Prolog: In principio erat Verbum et Verbum erat apud Deum et Deus erat Verbum. Hoc erat in principio apud Deum. Omnia per ipsum facta sunt et sine ipso factum est nihil, quod factum est. In ipso vita erat et vita erat lux hominum. Et lux in tenebris 1 lucet et tenebrae 1 eam non comprehenderunt. NT Johannes 1,1–5 1 tenebrae, -arum f.Pl .: Finsternis 2 4 Vom Logos Der im griechischen Urtext verwendete Ausdruck „lógos“ bedeutet an sich Wort, Rede oder Sprache, in weiterer Folge dann Vernunft und Sinn. Die stoische Philosophie versteht darunter das Weltgesetz, nach dessen Plan der Kosmos gelenkt wird. Der „lógos“ kann so als Weltenlen- ker auch mit Zeus gleichgesetzt werden. Spätere geistige Strömungen wie Neuplatonismus oder Gnostizismus sehen den „lógos“ ähnlich. In der christlichen Theologie schließlich wird daraus das fleischgewordene Wort Gottes, der „Sohn“ Gottes, der als der historische Jesus Christus auf die Erde kam. Während Cicero diesen philosophischen Begriff noch mit „ratio“ übersetzte, verwendete der Kirchenvater Hieronymus in seiner Bibelübersetzung die Bezeichnung „verbum“. Faust bei Goethe (Faust I, im Studierzimmer): Mich drängt’s, den Grundtext aufzuschlagen, mit redlichem Gefühl einmal das heilige Original in mein geliebtes Deutsch zu übertragen. Geschrieben steht: „Im Anfang war das Wort!“ Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, ich muss es anders übersetzen, wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn. Bedenke wohl die erste Zeile, dass deine Feder sich nicht übereile! Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft? Es sollte steh’n: Im Anfang war die Kraft! Doch auch indem ich dieses niederschreibe, schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe. Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat! Reproduktion, Transfer und Reflexion • Benenne die lateinischen Begriffe, mit denen im Johannesprolog der „lógos“ (= „Verbum“) gleichge- setzt wird (R) . • Ziehe den Text aus Goethes Faust zum Vergleich heran und erkläre die Schwierigkeit, der sich dort Faust beim Übersetzen gegenübersieht (T, X). Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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