Ex libris Latein-Einstiegstexte

Reproduktion, Transfer und Reflexion • Zeige anhand der Darstellung Einhards, welche Bedeutung die Stadt Rom für Karl den Großen hatte. (R) • Vergleiche den Ausgangstext mit Vergleichstext 1 und nenne zwei wesentliche Unterschiede. (T) • Vergleiche den Ausgangstext mit Vergleichstext 2 und zeige, woran deutlich wird, dass Conrad Ferdinand Meyer Einhards Biografie kannte. (T, X) • Erläutere Meyers Darstellung von Karl dem Großen, Alkuin und den Höflingen. (R) In den „Annales Regni Francorum“ wird die Kaiserkrönung Karls des Großen so geschildert: Als sich der König bei der Messe am heiligen Weihnachtstag gerade vom Gebet vor dem Grab des seligen Apostels Petrus erhob, setzte ihm Papst Leo eine Krone aufs Haupt, und das ganze Römervolk rief dazu: „Dem erhabenen Karl, dem von Gott gekrönten, großen und Frieden bringenden Kaiser der Römer, mögen Leben und Sieg zuteil werden!“ Und nach den lobenden Zurufen wurde er vom Papst nach der Sitte der alten Kaiser durch einen Kniefall geehrt und fortan, unter Weglassung des Patricius-Titels 1 , Kaiser und Augustus genannt. Vergleichstext 1 Auch in Conrad Ferdinand Meyers Novelle „Die Richterin“ begegnen wir Karl dem Großen in Rom: „Precor sanctos apostolos Petrum et Paulum!“ psalmodierten die Mönche auf Ara Cöli, während Karl der Große unter dem lichten Himmel eines römischen März- tages die ziemlich schadhaften Stufen der auf das Kapitol führenden Treppe empor- stieg. Er schritt feierlich unter der Kaiserkrone, welche ihm unlängst zu seinem herzlichen Erstaunen Papst Leo in rascher Begeisterung auf das Haupt gesetzt. Der Empfang des höchsten Amtes der Welt hatte im Ernste seines Antlitzes eine tiefe Spur gelassen. Heute, am Vorabend seiner Abreise, gedachte er einer solennen See- lenmesse für das Heil seines Vaters, des Königs Pippin, beizuwohnen. Zu seiner Linken ging der Abt Alcuin, während ein Gefolge von Höflingen, die aus allen Ländern der Christenheit zusammengewählte Palastschule, sich in gemessener Entfernung hielt, halb aus Ehrerbietung, halb mit dem Hintergedan- ken, in einem günstigen Augenblicke sich sachte zu verziehen und der Messe zu entkommen. Die vom Wirbel zur Zehe in Eisen gehüllten Höflinge schlenderten mit gleichgültiger Miene und hochfahrender Gebärde in den erlauchten Stapfen 1 , die Begrüßung der umstellenden Menge mit einem kurzen Kopfnicken erwi- dernd und sich über nichts verwundern wollend, was ihnen die Ewige Stadt Großes und Ehrwürdiges vor das Auge stellte. Jetzt hielten sie vor der ersten Stufe, während oben auf dem Platze Karl mit Alcuin bei dem ehernen Reiterbilde stillestand. „Ich kann es nicht lassen“, sagte er zu dem gelehrten Haupte, „den Reiter zu betrachten. Wie mild er über der Erde waltet! Seine Rechte segnet! Diese Züge müssen ähnlich sein.“ Da flüsterte der Abt, den der Hafer seiner Gelehrsamkeit stach: „Es ist nicht Constantin. Das hab ich längst heraus. Doch ist es gut, daß er dafür gelte, sonst wären Reiter und Gaul in der Flamme geschmolzen.“ Der kleine Abt hob sich auf die Zehen und wisperte dem großen Kaiser ins Ohr: „Es ist der Philosoph und Heide Marc Aurel.“ „Wirklich?“ lächelte Karl. Vergleichstext 2 1 Patricius ist ein spätantiker Ehrentitel, den Karl wie schon sein Vater Pippin vom Papst verliehen bekommen hatte. 1 Stapfen: (Fuß-)Spur 45 Karl der Große |  Historisches Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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