Ex libris Latein-Einstiegstexte

37 Das römische Österreich Lange vor der Ankunft der Römer siedelten auf dem Ge- biet des heutigen Österreichs die Kelten. Eine Gruppe von Kelten versuchte Anfang des 2. Jahrhunderts v. Chr. nach Oberitalien auszuwandern, was von den Römern verhindert wurde. Rom gründete daraufhin als nördli- che Grenzfestung die Stadt Aquileia, die bald zu einer wichtigen Handelsmetropole im nördlichen Adriaraum wurde (vergleichbar mit der modernen Stadt Triest). Im Laufe des 2. Jahrhunderts intensivierten sich die Kontakte mit den Römern, die versuchten, auf die Bo- denschätze des Alpenraums (u. a. Eisen, Kupfer, Gold) zuzugreifen. Unter den keltischen Stämmen erlangten die Noriker eine Führungsposition, die sich in der Ent- stehung eines Königreichs (regnum Noricum) nieder- schlug. Da es im späten 2. Jahrhundert auch Einfälle von Ger- manenstämmen in Italien gab, wollte Rom die Nord- grenze absichern, was mit der Besetzung des Alpen- raums um das Jahr 15 v. Chr. geschah. Während das Volk der Räter (im Gebiet von Nordtirol und Vorarlberg) erbit- terten Widerstand leisteten, wurde das Königreich Nori- cum offenbar weitgehend kampflos besetzt – ein Ergeb- nis der jahrhundertelangen intensiven wirtschaftlichen Beziehungen. Erst unter Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.) wurde Nori- cum in eine Provinz umgewandelt, die von der neu ge- gründeten Hauptstadt Virunum (nördlich des heutigen Klagenfurt) aus verwaltet wurde. Damals erhielten die norischen Siedlungen Aguntum, Virunum, Celeia und Teurnia das Stadtrecht, sie wurden zum municipium . Mit der Gründung solcher Städte wurde nicht nur die Roma- nisierung, also die Verbreitung römischer Kultur voran- getrieben, sondern auch den Bewohnern die Möglich- keit gegeben, das römische Bürgerrecht zu erlangen. Damit verbunden waren Aufstiegschancen in der römi- schen Gesellschaft. Zugleich hatten derartige municipia eine weitgehende Autonomie. In ihrer Anlage mit Forum, Basilika, Thermen, Tempeln und Theater sowie Amphitheater spiegeln solche Städte den Glanz der Hauptstadt Rom, der man stets nachzueifern versuchte, im Kleinen wider. Mehrere neu gegründete Städte, wie etwa Virunum oder Flavia Solva (bei Leibnitz, Südsteier- mark) erhielten zudem ein rasterförmiges Straßen­ system. Im 2. und auch im 3. Jahrhundert erlebten die drei Provinzen Noricum (≈ Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg, Osttirol), Rätien (≈ Nord- tirol, Vorarlberg) und Pannonien (≈ Wien, östliches Nie- derösterreich, Burgendland) trotz der Einfälle der ger- manischen Markomannen und Quaden Ende des 2. Jahrhunderts eine wirtschaftliche Blütezeit, die sich u. a. anhand einer intensiven Bautätigkeit nachweisen lässt. – Der erwähnte Einfall der Germanen wurde von Kaiser Marcus Aurelius (161–180) zurückgeschlagen, der sich zu diesem Zweck drei Jahre in Carnuntum aufhielt und im Jahre 180 im Legionslager Vindobona starb. Der österreichische Limes (lat. limes, limitis m. : Gren- ze, Grenzstreifen, vgl. Limit) war einerseits auf natürli- che Weise durch die Donau und andererseits durch ein System von Legionslagern (Carnuntum, Vindobona, Lau- riacum) und Standorten kleinerer militärischer Einhei- ten geschützt. Die Zeit der Spätantike (ab Kaiser Diokletian, 284– 305) ist durch einen wirtschaftlichen Niedergang, zahl- reiche Germaneneinfälle aus dem Norden und die Ver- breitung des Christentums (siehe S. 26 f. und S. 29–32) geprägt. Im Jahr 308 n. Chr. fand in Carnuntum eine Kai- serkonferenz statt, bei der über die Nachfolgefrage be- raten wurde. Dieses Ereignis am Rande des Reiches zeigt, wie viel Augenmerk man auch in der Spätantike auf diese stets gefährdete Grenzregion legte. Bis weit in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts wurden Bau- maßnahmen gesetzt, um die Reichsgrenze im Donau- raum zu sichern. Vermutlich unter Kaiser Constantius II. (351–361) wurde in Carnuntum das berühmte Heidentor als Triumphalbau errichtet. Nach dem Ende des weströmischen Reichs (476) wur- de die Bevölkerung aus dem Donauraum und dem Al- penvorland großteils nach Italien ausgesiedelt; der süd- liche Teil Noricums erlebte unter der Ostgotenherrschaft im 6. Jahrhundert eine späte Blütezeit, die sich in der Errichtung zahlreicher Kirchenbauten niederschlug. Mit der Einwanderung der Slawen in Ostösterreich und im Zentralalpenraum sowie der Bajuwaren in Westöster- reich geht die spät- und nachrömische Epoche endgül- tig zu Ende (um 600). Aguntum bei Lienz: im Vordergrund Reste der Hypokausten (Fuß­ bodenheizung) unter dem ehemaligen Wohnraum einer großen Villa, im Hintergrund die Ruinen der beiden mächtigen Tortürme der Stadtmauer. Neben Aguntum kann man römische Ausgrabungen in größerem Umfang auch am Magdalensberg (römische Stadt unbekannten Namens nördlich von Klagenfurt), in Teurnia (bei Spittal/Drau) und im Archäologiepark Carnuntum besichtigen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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