Ex libris Latein-Einstiegstexte

29 Das Christentum in Noricum und Pannonien Der heilige Florian Auf dem Gebiet des heutigen Österreich lassen sich die Anfänge des Christentums bis ins späte 2. Jahrhundert zurückverfolgen. Das Christentum wurde in erster Linie durch Soldaten und Händler verbreitet. Carnuntum etwa, die größte römische Stadt im heutigen Österreich, war eine ausgesprochen multikulturelle Stadt, in der sich neben Kelten, Römern und Germanen auch Syrer, Griechen oder Juden nachweisen lassen. Christliche Gemeinden existierten zunächst in priva- tem Rahmen, eigene Gebäude für Gebet und Gottes- dienst gab es noch nicht, man traf einander vielmehr in Wohnhäusern. Deshalb ist der christliche Glaube zu- nächst nur durch literarische Zeugnisse nachweisbar. Besonders die Christenverfolgung durch Kaiser Diokle- tian (in den Jahren 303 bis 305) schlug sich literarisch nieder (Prozessakten, „Passiones“: siehe unten). Erst ab dem 4. Jahrhundert gibt es christliche Kult- stätten im eigentlichen Sinn: Die ersten Kirchen sind längsrechteckige Gebäude, die im vorderen (zumeist nach Osten ausgerichteten) Bereich einen steinernen Tischaltar für die Feier der Eucharistie aufweisen. Oft ist die Ostseite des Kirchengebäudes architektonisch her- vorgehoben durch einen halbkreisförmigen Abschluss, die sogenannte Apsis, an die sich eine halbkreisförmige Priesterbank anlehnt. Besonders im 6. Jahrhundert wur- den Kirchen auch mit Mosaiken und Wandmalereien ausgeschmückt (vgl. Teurnia und am Hemmaberg in Kärnten). Kirchen wurden auch zum Gedenken an Märtyrer er- richtet. Dieses griechische Wort bedeutet eigentlich „Zeuge“ (vor Gericht) und bezeichnet einen Menschen, der für die Wahrheit seiner Glaubensüberzeugung not- falls sogar zu sterben bereit ist. Es wird daher im christ- lichen Kontext auch mit „Blutzeuge“ übersetzt. Florian ist der einzige namentlich bekannte, antike Märtyrer auf dem Gebiet des heutigen Österreich. Über ihn erzählt die sogenannte Passio Sancti Floriani. Unter Passio versteht man die Leidensgeschichte, die – nach dem Vorbild der Leidensgeschichte Jesu in den Evange- lien – nicht eine vollständige Biografie des Heiligen um- fasst, sondern lediglich sein Sterben schildert. Passio- nes waren Gebrauchstexte, d. h. es handelt sich bei ihnen um Texte, die vor allem für das Vorlesen im Got- tesdienst gedacht waren. Ihr Zweck war es, die Gläubi- gen durch das Beispiel der Märtyrer oder Heiligen zu einem christlichen Leben anzuspornen. Die Reste der Bischofskirche in der römischen Stadt Teurnia (bei Spittal an der Drau, Kärnten; 6. Jh.). Zu se- hen ist die halbkreisförmige Apsis mit Priesterbank (in der Mitte der erhöhte Sitz für den Bischof) und rechts im Vordergrund die Bodenplatte des einstigen Tisch­ altars. Darunter befanden sich in einer Art Grab Gebeine eines Heiligen (Reliquien), die man verehrte. Die wie- deraufgerichtete Säule und die senkrecht stehende Marmorplatte gehörten zur sogenannten Abschran- kung, mit der eine symbolische Trennung zwischen dem Altarbereich und dem Bereich für die Laien (einfachen Gläubigen) vorgenommen wurde. Die Kirche wurde 1985–1987 ausgegraben und mit einem Schutzbau über- dacht. Der heilige Florian in der Kirche von St. Nikolaus bei Matrei in Osttirol. Florian ist hier nicht wie später oft als Soldat mit Helm undWasserkübel dargestellt (als volks- tümlicher Patron der Feuerwehr, wie man ihn auf vielen Häusern sehen kann), sondern als Märtyrer. Die Malerei entstand um das Jahr 1270. Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv

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