Ex libris Latein-Grundkurs, Schulbuch

König Pelias von Iolkos (im Südosten Griechenlands) verspricht seinem Neffen Jason den Königsthron, wenn dieser ihm das Goldene Vlies beschafft. Dieses magische Widderfell lässt Medeas Vater, der König von Kolchis (im heuti- gen Georgien), von einem unbesiegbaren Drachen bewa- chen, der niemals schläft. Jason willigt ein, lässt sich für sein Abenteuer die Argo, ein besonders schnelles Schiff (griech. argos – „schnell“) bauen und segelt gemeinsam mit 50 tap- feren Männern, den Argonauten, nach Kolchis. Mit Medeas Hilfe – sie versetzt den Drachen mit einem Zaubertrank in einen tiefen Schlaf – kann Jason das Vlies rauben und seinem Onkel überbringen. Was nach der Ankunft in Iolkos mit dem Vlies geschieht, wird nirgendwo berichtet. Den Hintergrund für die Entstehung dieses Mythos vermutet die Forschung in den Edelmetallvorkommen um das Schwar- ze Meer. Die Flüsse in diesem Gebiet führten so viel Gold, dass die Kolcher Schaffelle ins Wasser tauchten, in denen sich der feine Goldstaub verfing. Da für die Griechen Gold einen sehr hohen Prestigewert hatte, sie es aber teuer impor- tieren mussten, dürften sie voller Neid in diese Gegend ge- blickt haben. Dabei könnte die Sage vom Goldenen Vlies entstanden sein. Medeas tragisches Schicksal Medea hilft Jason ein zweites Mal, weil König Pelias sich wei- gert, nach der Rückkehr seines Neffen sein Versprechen ein- zuhalten. Mit einem Trick sorgt sie dafür, dass der König von seinen eigenen Töchtern getötet wird. Allerdings fällt die Herrschaft nach dem indirekten Mord Medeas nicht an Ja- son, sondern an den leiblichen Sohn des Pelias, der Jason und Medea aus der Stadt verbannt. Die beiden flüchten nach Korinth, wo ihnen Asyl gewährt wird. In der neuen Heimat verliebt sich Jason, mit dem Medea inzwischen zwei Kinder hat, aber in die Tochter des Königs. Als er diese heiratet, soll Medea, die keine Griechin ist, die Stadt verlassen. Um sich dafür an Jason zu rächen, tötet sie zuerst seine neue Ehefrau und anschließend ihre eigenen Söhne. Sie flüchtet weiter nach Athen, verliebt sich in den König der Stadt, wird aber- mals Mutter und muss auch diese Stadt verlassen, als nach dem Tod des Königs dessen ältester Sohn an die Macht ge- langt. Über das weitere Schicksal der heimatlosen Medea gehen die Berichte der einzelnen Quellen weit auseinander. In seinem Gedicht Die Medea von Lodz (1934) verknüpft Bertolt Brecht (1898–1956) den Medea-Mythos mit seiner Gegenwart, in der ein Jahr nach der Machtergreifung Adolf Hitlers deutlicher Fremdenhass zu spüren ist. Markiere im Gedicht jene Passagen, in denen Medeas Fremd- und Anderssein zum Ausdruck kommt und stelle anschließend Verbindungen zwischen Brechts Gedicht und dem Lektionstext her. Verfasse eine persönliche Reflexion zum Thema „Heimat“. Besprecht im Anschluss daran eure Texte und diskutiert, welche Aspekte der Medea-Sage noch heute aktuell sind. Medea-Denkmal (Batumi, Georgien) 14.13 14.14 Medea und das Goldene Vlies Bertolt Brecht Die Medea von Lodz Da ist eine alte Märe Von einer Frau, Medea genannt Die kam vor tausend Jahren An einen fremden Strand. Der Mann, der sie liebte Brachte sie dorthin. Er sagte: Du bist zu Hause Wo ich zu Hause bin. Sie sprach eine andere Sprache Als die Leute dort Für Milch und Brot und Liebe Hatten sie ein anderes Wort. Sie hatte andere Haare Und ging ein anderes Gehn Ist nie dort heimisch geworden Wurde scheel angesehn. Wie es mit ihr gegangen Erzählt der Euripides Seine mächtigen Chöre singen Von einem vergilbten Prozeß. Nur der Wind geht noch über die Trümmer Der ungastlichen Stadt Und Staub sind die Stein, mit denen Sie die Fremde gesteinigt hat. Da hören wir mit einem mal Jetzt die Rede gehn Es würden in unseren Städten Von neuem Medeen gesehn. Zwischen Tram und Auto und Hochbahn Wird das alte Geschrei geschrien 1934 In unserer Stadt Berlin. 86 14 Medea in der Fremde Nur zu Prüfzwecken – Eig ntum des Verlags öbv

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