am Puls Biologie 8, Schulbuch

95 Evolution des Menschen Blick in die Forschung Die mysteriösen Denisovier Eine neue Menschenart Russische Forscherinnen und Forscher entdeckten 2008 in einer Höhle in Sibirien, der Denisova-Höhle ( k Abb. 15), einen menschlich aussehenden Fingerknochen ( k Abb. 16). Erst eine aufwändige aDNA-Analyse 1 , die von einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Deutschland durchgeführt wurde, gab Aufschluss über die Identität dieser Menschen: Der gefundene Knochen stammte von einer weiblichen Jugendlichen (genannt „X woman“ ), die dort vor 40 000 Jahren lebte. Sie war jedoch weder ein moder- ner Mensch, noch ein Neandertaler, sondern gehörte zu einer bis dahin unbekannten, ausgestorbenen Menschenart! Diese Menschen bekamen den Namen Denisovier . Wir wissen, dass sie um die Denisova-Höhle bereits vor mehr als 100 000 Jahren lebten. Die Denisovier gehören, wie wir, zur Gattung Homo , sind also mit uns Menschen eng verwandt. Insgesamt hat man von diesen Menschen erst einen Finger- knochen, einzelne Zähne und einen Zehenknochen gefunden. Kleine Überreste von nur vier Personen sind also alles, was wir von dieser Menschenart kennen! Über ihren Körperbau wissen wir daher sehr wenig. Möglicherweise waren sie robuster ge- baut als wir, ähnlich dem Neandertaler. Es ist selten, dass sich DNA zehntausende Jahre lang erhält. Bei den meisten Fossilien, die so alt oder älter sind, kann kaum intakte DNA mehr sichergestellt werden. Um so beein- druckender ist es, dass bei den Denisoviern aus einem Finger- knochen genetisches Material gewonnen werden konnte. In diesem Fall war das kühle Klima in der Höhle sehr günstig für die Erhaltung. Stell dir vor – mithilfe eines einzelnen, kleinen Fingerknochen wurde so eine neue Menschenart entdeckt und es konnte so die genetische Ähnlichkeit dieser Menschen mit uns errechnet werden ( k Methode S. 74)! Die aDNA-Analysen wiesen darauf hin, dass die Neandertaler mit den Denisoviern eng verwandt waren. Für die Abstammung des modernen Menschen bedeutet dies, dass es mehrere Men- schenarten gleichzeitig auf der Erde gab. Dass der moderne Mensch mit den Denisoviern gemeinsame Nachkommen zeug- te, weiß man, da sich 3–5% der Gene der Denisovier, die man aus dem Fingerknochen kennt, beim modernen Menschen, und zwar bei Aborigines und Melanesiern 2 wiederfinden. Abb.15: Denisova-Höhle. Die Höhle liegt in den sibirischen Bergen, in der Nähe der Grenze zu China und der Mongolei. Hier wurde 2008 das menschliche Fossil „X woman“ gefunden. Abb.16: Denisovier-Fingerknochen. Dieses menschliche Fossil hat den Namen „Denisova 3“ bekommen. Die Forscherinnen und Forscher nennen das Fossil auch „X woman“. Glossar 1 aDNA: aDNA bedeutet „ancient DNA“ oder „alte DNA“. DNA, die aus alten Überresten von Lebewesen stammt, nennt man aDNA. Sie ist von viel geringerer Qualität als moderne DNA, da sich DNA im Laufe der Zeit zersetzt. Es bedarf spezieller Techniken und Labors, um aDNA zu analysieren. Ein Problem besteht in der leichten Kontamination: Menschliche DNA ist tatsächlich überall, jeder Fingerab- druck hinterlässt DNA! Solche aDNA-Proben müssen daher unter extrem sterilen Bedin- gungen extrahiert und untersucht werden. 2 Melanesier: Zu den Melanesiern rechnet man die indigenen Einwohner einiger Inseln im Südpazifik, nämlich von Neuguinea (Papua Neuguinea und das indonesische Westneu- guinea), Fiji, Neukaledonien, den Salomonen und Vanuatu. Aufgaben W 1 Das mitochondriale Genom der X woman wurde 2010 im Wissenschaftsmagazin Nature unter dem Titel „The complete mitochondrial DNA genome of an unknown hominin from southern Siberia“ veröffentlicht. Lies den Abstract der Studie und erläutere, was die Forscher und Forscherinnen über die Migration der Vorfahren der Denisovier rück- schließen. S 2 In der Wissenschaft wird diskutiert, ob die Denisovier eine eigene Menschenart darstellen, oder eine Unterart des modernen Menschen. Lies nach, was man unter einer Unterart versteht. Analysiere, was für bzw. wider diese beiden Einordnungen spricht. Literatur: Reich, D; et al.: Genetic history of an archaic hominin group from Denisova Cave in Siberia. In: Nature. 2010, Jg. 468, S. 1053–1060. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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