am Puls Biologie 8, Schulbuch

94 Methoden in der Praxis Die molekulare Uhr Zur Datierung und zur Stammbaumanalyse wird mitochondriale DNA benutzt Stammbäume, die auf Fossilfunden basieren, stimmen zwar meist grob aber bleiben oft unvollständig, da häufig Über- gangsformen fehlen. Zwar kennt man mittlerweile einige sehr alte Fossilien, die vermutlich von Vorfahren des modernen Menschen stammen ( Orrorin tugenensis , 6 Millionen Jahre alt und Sahelanthropus tchadensis , 7 Millionen Jahre alt, siehe S. 86). Jedoch ist zB der letzte gemeinsame Vorfahre von Schimpanse und modernem Mensch nicht bekannt. Zur Rekonstruktion von Abstammungsverhältnissen bedient man sich daher einer Methode, die auf dem Vergleich von DNA-Sequenzen von heute lebenden Nachfahren basiert. Da- mit lassen sich die wahrscheinlichsten Stammbäume erstel- len. So kann man rückberechnen, wie lange zB die Aufzwei- gung der beiden Linien, die zum modernen Menschen und zum Schimpansen führen, her ist. Man verwendet dazu häufig die mitochondriale DNA. Nicht nur die Zellkerne unserer Zellen, sondern auch die Mitochondrien, enthalten DNA ( mtDNA 1 ). Die mitochondrialen Gene werden über die mütterliche Linie weitergegeben, und Unterschiede in diesen Genen beruhen daher nur auf Mutatio- nen, nicht auf Rekombination, wie bei der DNA im Zellkern. Kennt man die Mutationsrate, und geht man davon aus, dass sie konstant ist, kann man so rückschließen, wann die Aus- gangssequenz eines solchen mitochondrialen DNA-Abschnit- tes existiert hat. Es ist so, also ob eine „molekulare Uhr“ die Unterschiede in der DNA, die sich durch Mutationen ansam- meln, quasi „mitstoppt“. Auf die Mutationsrate lässt sich rück- schließen, indem man Sequenzunterschiede der DNA für Or- ganismen ermittelt, deren gemeinsame Vorfahren mit einer anderen Methode datiert wurden, zB über Fossilfunde, deren Alter man kennt. Mithilfe dieser Methode wurde zB berechnet, dass sich die DNA aller Mitochondrien, die in der heutigen menschlichen Populati- on vorkommen, auf die DNA einer Frau zurückführen lassen, die vor etwa 200 000–300 000 Jahren gelebt hat: der „mitochondria- len Eva“. Evolutionär betrachtet ist die gemeinsame Abstam- mung aller heute lebenden Menschen also nur einen Augen- schlag her – 200 000–300 000 Jahre sind in der Evolution verhältnismäßig kurz. Für den letzten gemeinsamen Vorfahren von Schimpansen und Menschen gibt es sehr unterschiedliche Berechnungen, die von 4 bis 13 Millionen Jahren reichen. Grund dafür ist die komplexe Abstammung, siehe Aufgabe 1. Statt der Unterschiede in der mitochondrialen DNA können auch Unterschiede in der Struktur von anderen Biomolekülen, die sich mit der Zeit durch Mutationen anhäufen, zur Ermittlung der Mutationsrate und zur Eichung der molekularen Uhr ver- wendet werden. Tatsächlich wurde diese Methode erstmals an Unterschieden in den Hämoglobin-Molekülen unterschiedlicher Abstammungslinien getestet. heutige Population des Menschen Frauen in der Population vor ca. 200 000 Jahren ausgestorbene Linien Abb.14: „Mitochondriale Eva“. Die heute vorhandenen Varianten der mitochondrialen DNA lassen sich auf eine „mitochondriale Eva“ zurückführen, die vor rund 200 000 Jahren gelebt hat. Alle anderen mitochondrialen Linien sind ausgestorben. Glossar 1 mtDNA : Die mitochondriale DNA (mtDNA) enthält wenige für den Stoffwechsel relevan- te Gene. Alle Mitochondrien der Zygote, aus der ein Embryo wächst, stammen aus der mütterlichen Eizelle, daher stammt auch die gesamte mtDNA von der Mutter, nicht so wie die DNA im Zellkern, die zu gleichen Teilen von Mutter und Vater stammt. Aufgaben W 1 Bei Menschen und Schimpansen scheint die Abstammungsgeschichte kompli- zierter zu sein als ursprünglich angenommen. Nach der Abspaltung der Linien ist es über eine Periode von mehreren Millionen Jahren vermutlich zur Hybridisierung zwischen den Linien gekommen. Die Ergebnisse dieser Ana- lyse wurden 2006 publiziert: Patterson N, Rich- ter DJ, Gnerre S, Lander ES, Reich D (2006). „Genetic evidence for complex speciation of humans and chimpanzees“. Nature. 441 (7097): 1103–8. Lies den Abstract der Studie, und fas- se zusammen, wie die Forscher und Forsche- rinnen zu diesem Ergebnis kommen. E 2 Um die molekulare Uhr zu „eichen“ und eine Mutationsrate zu berechnen, existie- ren weitere Methoden. Bei einer davon wer- den die Unterschiede in der mitochondrialen DNA zwischen Eltern, Kindern und Enkeln ver- glichen. Leite ab, wie daraus die Anzahl von Mutationen pro Generation und die Mutati- onsrate bestimmt werden können. E 3 Der molekularen Uhr liegt die Annah- me der Konstanz der Mutationsrate zugrun- de. Diese Annahme schränkt die Genauigkeit der Schätzungen stark ein. Begründe dieses Faktum. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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