am Puls Biologie 8, Schulbuch

92 4.2 Kulturelle Evolution Aus Erfahrungen zu lernen ist für das tägliche Überleben vieler Tiere entscheidend ( k Verhal- tensbiologie, Band 6). Bei vielen Tierarten geben Eltern ihre erworbenen Kenntnisse und Fertigkei- ten an ihre Nachkommen weiter – es entstehen Traditionen oder Kulturen . Beim Menschen ist die Weitergabe von Erfahrungen sicherlich am stärksten ausgeprägt. Die Weitergabe erworbener Fertigkeiten von Ge- neration zu Generation, das Kopieren des Verhal- tens von Vorbildern, Lernen und Lehren sind Be- standteil der kulturellen Evolution. Der Mensch wird von ihr in einem ähnlichen Maße beein- flusst wie durch die biologische Evolution. Unser Sprachvermögen beispielsweise baut auf einer genetischen Grundlage auf – das FOXP2- Gen spielt eine wichtige Rolle dabei. Es sorgt für die Aktivierung von anderen Genen. Mutationen im FOXP2-Gen des Menschen führen zu Störungen im Sprachvermögen. Manche Sprachwissenschafter und -wissenschaf- terinnen schließen von der Beobachtung der Entstehung von Mischsprachen, wie dem Kreoli- schen, und der Leichtigkeit, mit der Kinder ihre Muttersprache erlernen, sogar auf einen Sprach­ instinkt, also auf eine „angeborene universelle Grammatik“. Möglicherweise lernen wir auf Basis dieser Anlage die unterschiedlichsten Sprachen mit ihren jeweiligen Vokabeln und Grammatiken. Kulturelle und natürliche Evolution haben eine Reihe von Ähnlichkeiten neben vielen Unter- schieden. Beispielsweise können Kulturen „mutieren“. Attraktive, neue Ideen oder Moden breiten sich mit einer ähnlichen Dynamik in Populationen aus wie neue Allele. Anders als in der natürlichen Evolution werden Bestandteile von Kulturen aber nicht nur von Eltern auf Nach- kommen „vererbt“, sondern auch „ horizontal “ – dh zwischen Nichtverwandten – weitergegeben. Kulturelle Evolution und natürliche Evo- lution wirken heute gemeinsam auf die menschliche Popula- tion Gene und Kultur Milchwirtschaft und Evolution Kulturelle und natürliche Evolution gehen oft Hand in Hand. Die Erfindung des Ackerbaus und der Viehzucht veränderte in der Jungsteinzeit die Selektionsdrücke. Wie Analysen fossiler DNA zei- gen, konnte zuvor Milchzucker (Laktose) nur von Neugeborenen und Säuglingen verdaut werden. Ältere Kinder und Erwachsene vertrugen keine Milch. Ihnen fehlte das Enzym Lactase , das nötig ist, um Milchzucker abzubauen. Als vor rund 8000 bis 10 000 Jahren mit der Züch- tung von Schafen, Ziegen und Rindern begonnen wurde, profitierte davon anfangs eine kleine Minderheit der Bevölkerung, die wegen einer zu- fälligen Mutation Milch auch in späterem Alter verwerten konnte. Die Viehhaltung führte dazu, dass heute 85 % der erwachsenen Europäer und Europäerinnen Milch vertragen, wie auch zB das Rinderzucht betreibende Volk der Tutsi in Ost- afrika. Der Anteil liegt bei Völkern, die keine oder kaum Milchwirtschaft betreiben, unter 10% ( k Abb. 12). Die Fähigkeit, Milch zu verdauen, muss- ten Erwachsene erst evolvieren Lactosetoleranz in der Bevölkerung 100% der Bevölkerung sind lactosetolerant 100% der Bevölkerung sind lactoseintolerant keine Daten indianische Herkunft afrikanische Herkunft hispanische Herkunft asiatische Herkunft europäische Herkunft australische Ureinwohner Abb.12: Verbreitung des Lactase-Gens. Die verschiedenen Grüntöne verdeutlichen die Häufigkeit der Milchzucker- toleranz. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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