am Puls Biologie 8, Schulbuch

90 Die Evolution des Menschen verlief nicht geradlinig Was wir über die Evolution des Menschen wissen hat sich in den letzten Jahrzehnten gründlich ge- wandelt. Aufgrund von unzähligen neuen Fossil- funden hat sich die Artenzahl der bekannten Hominiden vervielfacht! Bei Lucys Entdeckung dachten die meisten For- scher und Forscherinnen noch, dass die Evolution des Menschen relativ geradlinig verlaufen war, von Australopithecus über Homo erectus hin zu Homo sapiens . Jüngere Fossilfunde zeichnen allerdings ein weitaus komplexeres Bild der menschlichen Evolution : Mehrere Australopithe­ cus -Arten haben offensichtlich gleichzeitig exis- tiert. Dasselbe gilt für mehrere Homo -Arten, die teilweise mit Homo sapiens Nachkommen zeug- ten ( k Neandertaler, S. 88 und Denisovier, Blick in die Forschung S. 95). Außerdem wurden weitere ältere Arten von Hominiden entdeckt, die weder in die Gattung Homo noch in die Gattung Austra­ lopithecus passten. Diese Erkenntnisse tragen zu einem Verständnis bei, dass die Evolution des Menschen nicht entlang einer Linie, sondern eher wie ein weit verzweigter Busch verlief. Die erste Australopithecus Art, Australopithecus africanus , wurde bereits 1920 beschrieben, und Lucy ( k S. 84) schließlich 1974. In den 1990er Jah- ren kam es zur Entdeckung von gleich mehreren neuen Australopithecinen. Australopithecus ramidus wurde beschrieben, eine Art, die weit- aus älter ist als Lucy, nämlich über 4 Millionen Jahre. Wie Lucy stammte der Fund aus der Afar-Region in Äthiopien. In Kenia wurde Australopithecus anamensis entdeckt ( k Abb. 10), A. bahrelghazali im Tschad, und A. garhi ebenfalls in Äthiopien. Schließlich stieß Kenyanthropus platyops , ein mindestens 3,5 Millionen alter Vormensch, ent- deckt in Kenia, dazu. Wiederum in der Afar-Region wurden Ardipithe­ cus ramidus ( k Abb. 10) und Ardipithecus ka­ dabba entdeckt. Bei Ardipithecus handelt es sich um einen Vormenschen, der vor 4–5 Millionen Jahren lebte und der keinen Greiffuß wie ein Schimpanse besaß, sondern einen Fuß, der zum aufrechten Gehen geeignet war, mit einer weit abspreizbaren großen Zehe. Zuvor hatte man an- genommen, dass der gemeinsame Vorfahre von Schimpanse und Mensch wohl einen Greiffuß wie die Schimpansen besaß. Dies stellt der Fund von Ardipitecus aufgrund seines Alters infrage. Die bisher ältesten gefundenen Hominiden-­ Fossilien stammen von Orrorin tugenensis , der vor 6 Millionen Jahren lebte und 2000 in Kenia entdeckt wurde, sowie von Sahelanthropus tcha­ densis, entdeckt 2001 im Tschad, und der vor 7 Millionen Jahren lebte ( k Abb. 10). Beide konn- ten vermutlich bereits stückweise aufrecht ge- hen und beide besaßen Eigenschaften, die auch bei Homo vorkommen. Eine dieser beiden Arten könnte daher möglicherweise der direkte Vorfah- re des modernen Menschen gewesen sein. Die Geschichte der Evolution des mo- dernen Menschen muss neuen Funden entsprechend lau- fend adaptiert wer- den Variabilität, Verwandt- schaft, Geschichte und Evolution Abb.10: Rekonstruktionen von Sahelanthropus tchadensis , Ardipithecus ramidus und Australopithecus anamensis . Die Abbildungen zeigen künstlerische Interpretationen basierend auf dem erhaltenen Skelettmaterial. So ähnlich dürften die Vertreter dieser drei Hominiden-Arten ausgesehen haben. Basiskonzept Variabilität, Verwandtschaft, Geschichte und Evolution: Die aktuelle Forschung geht davon aus, dass es zur Verzweigung unterschied- licher Hominiden-Linien kam. Die Evolution des modernen Menschen verlief daher keineswegs geradlinig. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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