am Puls Biologie 8, Schulbuch

73 Evolutionsbiologie Atavismen und Rudimente belegen die Evolution Im Jahr 2006 wurde vor Japan ein ungewöhnli- cher Delfin gefangen: Er hatte neben den beiden Brustflossen noch zwei Bauchflossen, obwohl Delfine eigentlich nur Brustflossen besitzen. Die Brustflossen der Delfine sind im Verlauf der Evo- lution aus den Vorderbeinen ihrer landlebenden Vorfahren entstanden. Die Hinterbeine wurden zunächst zu Bauchflossen, die dann schrittweise zurückgebildet wurden ( k Abb. 13, S. 72). Eine Struktur, die nur selten bei heutigen Lebe- wesen ausgeprägt ist, aber typisch für deren Vor- fahren war, nennt man Atavismus 1 . Im Fall des Delfins ist dies ein weiterer Beleg für die Ab- stammung der Waltiere von vierbeinigen Säuge- tieren. Atavismen sind also Indizien dafür, dass nicht mehr genutzte genetische Information nur still- gelegt wurde, aber nach wie vor vorhanden ist. Auch Rudimente 2 liefern Belege für die Evoluti- on. Im Gegensatz zu einem Atavismus kommt ein Rudiment bei allen Vertretern einer Art vor. Es handelt sich dabei um einen „Überrest“ einer ehemals wichtigen Struktur, die funktionslos wurde und allmählich verschwand. Auch hier gibt es bei den Walen ein Beispiel: Bei Barten­ walen finden sich noch sehr kleine Reste von Beckenknochen, an denen bei ihren Vorfahren die Hinterbeine ansetzten. Eine Funktion dieser Rudimente ist nicht mehr vorhanden. Ein Atavismus ist das Wiederauftreten eines Merkmals, das bei früheren Vorfah- ren ausgeprägt war Struktur und Funktion Glossar 1 Atavismus , vom Lateinischen atavus für Urahn 2 Rudiment vom Lateinischen rudimentum für Anfang oder Urform Aufgaben W/S 1 Atavismen und Rudimente : Finde und beschreibe weitere Beispiele für Arten mit Rudimenten oder Atavismen. Argumen- tiere, inwiefern diese Beispiele Belege für die Abstammung dieser Arten darstellen. W 2 Homolog oder Analog? Beurteile für folgende Beispiele, ob es sich um homologe oder analoge Strukturen handelt, und be- gründe deine Entscheidung: a) Flügel der Vö- gel und Flügel der Insekten; b) Grabbein von Maulwurfsgrille und Maulwurf; c) Schwimm- blase der Fische und Lunge der Landwirbel- tiere; d) Stachel der Rose und Dorn der Kak- teen Basiskonzept Struktur und Funktion: Manche Rudi- mente übernehmen im Lauf der Evolu- tion neue Funktionen. Das Steißbein des Menschen gilt beispielsweise als Rudiment einer ehemals langeren Schwanzwirbelsaule, erleichtert uns aber heute das Sitzen. Analogien und Homologien Merkmale, die auf eine gemeinsame Abstam- mung oder genetische Grundlage zurückzufüh- ren sind, bezeichnet man als homologe Merkma- le . Die Vorderextremitäten aller Landwirbeltiere sind zB homolog ( k Abb. 17). Obwohl die Vor­ derextremitäten bei den Flippern der Wale oder den Flügeln der Fledermäuse stark abgewandelt wurden, handelt es sich dabei um homologe Strukturen, was durch zahlreiche Übergangs­ formen belegt ist. Homologien zählen zu den wichtigsten Belegen, um Stammbäume und Ver- wandtschaftsverhältnisse zu rekonstruieren. Um homologe Merkmale zu erkennen, verwendet man drei Kriterien: Sie weisen die gleiche Lage- beziehung im Körper auf. Sie gleichen sich in ih- rer Feinstruktur , zB lassen sich die einzelnen Knochen der Wirbeltier-Vorderextremitäten ein- ander zuordnen ( k Abb. 14). Homologe Merkma- le sind zudem kontinuierlich , d. h. sie lassen sich über Fossilfunde oder Embryonalstadien mitein- ander verbinden ( k S. 66). Im Gegensatz dazu ist die Körperform von schnell schwimmenden Tieren wie Haien, Delfi- nen, Pinguinen und fossilen Meeresechsen nicht auf eine gemeinsame Abstammung zurückzu­ führen. Eine solche Ähnlichkeit wird als Analogie bezeichnet. Analogien treten auf, wenn sich nicht näher verwandte Arten an ähnliche Umweltbe- dingungen angepasst haben. Bei den genannten Arten entstand unabhängig voneinander eine ähnliche Körperform. Diese geht nicht auf glei- che Gene zurück, sondern auf eine Anpassung an eine schwimmende Lebensweise, bei der ein stromlinienförmiger Körper von Vorteil ist. Homologe Merkmale beruhen auf gemein­ samer Abstammung, analoge Merkmale auf Anpassung an ähnliche Umwelt­ bedingungen Abb.17: Homologie am Beispiel der Vorderextremi­ täten der Säugetiere Wal Pferd Mensch Fledermaus Oberarm Unterarm Handwurzel Mittelhand Finger Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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