am Puls Biologie 8, Schulbuch

71 Evolutionsbiologie Gendrift führt zu zufälligen Veränderungen im Genpool Ein kräftiger Windstoß verweht ein paar Schmet- terlinge an einen entfernten Ort. Dort gründen sie eine neue Population. Diese wird sich, verursacht durch das Zufallsereignis, in ihren Genvarianten von der ursprünglichen Population unterscheiden. Ob ein Individuum sich erfolgreich vermehrt muss also nicht unbedingt vom Genotyp abhängen. Ein Organismus kann auch einfach Pech oder Glück haben. Seine Allele werden dann in der nächsten Generation häufiger oder seltener vorkommen, ohne dass dies einem Anpassungswert entspricht – im Gegensatz zur Situation bei Evolution durch natürliche Selektion. Zufällige Änderungen in der Allelhäufigkeit einer Population bezeichnet man als genetische Drift ( k S. 71). Sie ist ein wichtiger Evolutionsfaktor und erklärt die teils große Unvorhersagbarkeit des Evolutionsgeschehens. Vor allem in kleinen Populationen kann die genetische Drift eine wesentliche Rolle spielen, da Zufallseffekte hier stärker ins Gewicht fallen. Die verwehten Schmetterlinge sind ein Beispiel für eine besondere Form starker Gendrift, den Gründereffekt . Er beruht auf der zufälligen Ver- schleppung von Individuen. Eine ähnliche Form starker Gendrift bezeichnet der Flaschenhalseffekt . Dabei bewirkt eine Kata- strophe wie zB ein Waldbrand, dass die meisten Individuen einer Ausgangspopulation sterben – die Population geht sinngemäß durch einen „Flaschenhals“ ( k Abb. 14 a). Auch der Mensch kann einen solchen Effekt ver- ursachen: So hat er den Europäischen Bison, den Wisent, über die Jahrhunderte in freier Wildbahn vollständig ausgerottet. Nur wenige Wisente überlebten in Zoos. Aus diesen Tieren wurden durch Nachzüchtung und Auswildern mit großer Mühe wieder natürliche Populationen aufgebaut. Europaweit leben jetzt über 4 000 Tiere. Dieser Prozess hat aber seine Spuren hinterlassen: Der Großteil der genetischen Varianz ist durch die starke Dezimierung verschwunden, der Genpool 1 ist entsprechend verarmt. Daher sind die Chan- cen der Wisent-Population sich an wandelnde Umweltbedingungen anzupassen stark ein- schränkt. Für Zuchtprogramme seltener Zootiere bedeutet der Flaschenhalseffekt eine starke Ein- schränkung ihrer Erfolgswahrscheinlichkeit. Beim Gründereffekt entsteht aus einer kleinen Gruppe von Individuen eine neue Population alte Populations- zusammensetzung Dezimierung Restpopulation neue Populations- zusammensetzung Flaschenhalseffekt: In einer Ausgangspopulation sterben durch eine Katastrophe die meisten Individuen; einige überleben durch Zufall. Aus ihnen entsteht eine neue Popu- lation mit anderen Allelhäufigkeiten. Abb.14 a: Flaschenhalseffekt. Genetische Drift kann schlagartig auftreten. Abb.14 b: Wisent. Diese Art ist durch einen geneti- schen Flaschenhals gegangen. Heute freilebende Wisent-Populationen gehen auf nur wenige Tiere zurück, die in Tiergärten überlebt haben. Glossar 1 Genpool : Die Gesamtheit aller Allele (Gen­ variationen) einer Population. Je kleiner der Genpool einer Population, desto geringer die Anpassungsmöglichkeiten durch natürliche Selektion. Aufgaben S 1 Gendrift und Zucht : Du bekommst die Verantwortung für die europäischen Zoo- populationen von Schneeleoparden und sollst sie vor der genetischen Verarmung durch Gendrift schützen. Erläutere dein Vorgehen. S 2 Inselpopulation Auf einigen wenigen kahlen Felsen im italienischen Mittelmeer fin- det man eine kleine, aber besondere Eidech- senpopulation: Die Tiere der vorkommenden Unterart Podarcis siculus coeruleu s sind blau gefärbt. Diese Farbe scheint keinen besonde- ren Anpassungswert zu haben. Die Tiere an- derer Populationen dieser Art sind grün mit braunen Tupfen. Sie haben manchmal einen blauen Bauch. Gib eine mögliche Erklärung für das Entstehen der Inselpopulation an. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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