am Puls Biologie 8, Schulbuch

69 Evolutionsbiologie Die Synthetische Evolutionstheorie Zur Zeit Darwins war der Mechanismus, durch den die Erbinformation von den Eltern auf die Nachkommen übertragen wird, unbekannt. Dar- win glaubte noch, dass sich die Merkmale beider Eltern bei den Nachkommen mischen, so wie sich zwei Flüssigkeiten mischen. Wäre das der Fall, so würden neue Eigenschaften, die durch Mutatio- nen entstehen, sofort wieder „verdünnt“ werden und könnten sich niemals etablieren. Um 1900 wurden schließlich Mendels Ergebnisse wiederentdeckt. Mendel hatte einen Vererbungs- mechanismus gefunden, der erklären konnte, warum sich Merkmale nicht mehr und mehr mit- einander vermischen. Im 20. Jahrhundert wurden die Ergebnisse zur Vererbung von Gregor Mendel ( k S. 38) mit Dar- wins Selektionstheorie in Einklang gebracht. Die daraus hervorgehende Synthetische Evolutions- theorie stellte die Evolutionsbiologie auf ein neues, rigoroses Fundament. Die Synthetische Theorie wurde zur Basis für die darauf folgende Forschung: Mithilfe der neuen Theorie konnte erklärt werden, wie evolutionäre Veränderung und Anpassung in Populationen, d. h. in Gruppen von Individuen derselben Art, die sich miteinander fortpflanzen, geschieht. Ebenfalls im 20. Jahrhundert machte die Genetik erhebliche Fortschritte. Es wurde geklärt, dass Chromosomen das Material der Erbinformation enthalten. Später wurde die Struktur der DNA aufgeklärt. So wurde Darwins Theorie im 20. Jahr- hundert durch die Genetik gestärkt, vertieft und erweitert. Obwohl die Synthetische Evolutionstheorie die Evolution von Populationen gut beschreiben konnte, blieben manche Fragen unbeantwortet. Die Entwicklungsbiologie blieb zB völlig unbe- achtet (siehe nächster Abschnitt). Auch der Bei- trag der Symbiose in der Evolution blieb ausge- klammert (vgl. Endosymbiose, S. 64). Die Synthetische Evolutionstheorie konnte Mendels Ver- erbungsmechanis- men mit Darwins Selektionstheorie in Einklang bringen Evolutionäre Entwicklungsbiologie Die Evolutionäre Entwicklungsbiologie beschäf- tigt sich mit der Evolution von Entwicklungspro- zessen. Bereits Darwin hatte bemerkt, dass die frühe Entwicklung von Embryonen bei Arten, die miteinander verwandt waren, sehr ähnlich ver- lief. In den 1980 er Jahren wurden schließlich revolutionäre Entdeckungen gemacht: Es wurde geklärt, dass nur wenige Gene im Genom eines Organismus die Embryonalentwicklung steuern. Diese sind bei allen Eukaryoten annähernd ident, also auch bei so unterschiedlichen Gruppen wie zB Pilzen, Arthropoden und Wirbeltieren. Diese Gene blieben über Jahrmillionen der Evolution konserviert! Wie in Kapitel 1 beschrieben wurde, haben viele Gene eine regulative Funktion , d.h. viele Gene wir- ken als Schalter in einem Gen-Netzwerk und kön- nen andere Gene ein- und ausschalten. Dadurch haben solche Gene Einfluss auf viele Merkmale gleichzeitig. Zufällige Mutationen an irgendeiner Stelle des Netzwerks, das für die Entwicklung eines Embryos verantwortlich ist, behindern meist die Funktionalität. Stell dir vor, man würde einen beliebigen Bauteil eines Computers verändern. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das Gerät dann nach wie vor funktioniert. Aus diesem Grund wur- den jene Gene, die die Embryonalentwicklung kon- trollieren, über Jahrmillionen durch natürliche Selektion kaum verändert. Heute weiß man, dass die Mendelschen Regeln also einen Sonderfall beschreiben: Nur wenige Merkmale werden von einem einzigen Gen kont- rolliert. Viele Merkmale sind hingegen das Produkt von Gen-Netzwerken. Die Giraffe hat also kein Gen für einen langen Hals, sondern Schalter-Gene las- sen dabei gewisse Entwicklungsschritte, die zum Wachstum eines langen Halses führen, in Teilen des Körpers länger andauern. Mutationen, die regulative Gene betreffen, können auch völlig neue Strukturen im Körper erzeugen ( k Abb. 12). Diese liefern so wiederum das Rohmaterial für die nächsten Schritte der Evolution. Die Evolutionstheorie ist insofern bewiesen, als unzählige Fakten belegen, dass die Vielfalt der Organismen auf der Erde durch Evolution entstanden ist, und dass Arten veränderlich sind. Die Details der Evolutionsmechanismen aber sind nach wie vor Objekt der aktuellen For- schung. Nur wenige Gene im Organismus steuern die Embryonal­ entwicklung Abb.12: Völlig neue Strukturen, wie diese Augen­ flecken auf Schmetterlingsflügeln, können durch Mutationen entstehen, die regulatorische Gene betreffen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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