am Puls Biologie 8, Schulbuch

52 Gonosomale Gendefekte Wie du auf Seite 50 gelesen hast, unterscheiden sich Mann und Frau genetisch deutlich durch die Gonosomen: Eine Frau besitzt zwei X-Chromoso- men in jeder Zelle, ein Mann je ein X- und ein Y-Chromosom. Das X-Chromosom enthält etwa 1000, das Y-Chromosom unter Hundert Gene, und nur 16 Gene haben X und Y gemeinsam. Schon früh in der weiblichen Entwicklung wird eines der X-Chromosomen weitgehend inaktiviert, um eine Überdosierung der X-Genprodukte zu ver- hindern. Es ist dem Zufall überlassen, in welcher Zelle einer Frau welches der beiden X-Chromoso- men inaktiviert wird (das mütterliche oder das väterliche), d. h. nicht alle Zellen einer Frau sind genetisch gleich. Merkmale, die von Genen auf dem X-Chromosom bestimmt werden, erscheinen in der männlichen Linie immer im Phänotyp (weil der homologe Partner fehlt) – die Zellen sind hemizygot bezo- gen auf die Gonosomen. Überraschend viele Ge- ne des X-Chromosoms codieren für Proteine, die mit der Gehirnfunktion zu tun haben (etwa drei- mal so viele wie auf einem Autosom). Dies ist kein Zufall: Kognitive Fähigkeiten waren in der Evolution des Menschen besonders wichtig. Und durch die Konzentration entsprechender Gene auf dem X-Chromosom setzen sich Mutationen bei Männern sofort durch. Auf dem X-Chromosom befinden sich ca. 4% der Gene des Menschen, trotzdem lassen sich hier ca. 10% aller Erbkrankheiten lokalisieren. Im X-chromosomal dominanten Erbgang erkran- ken alle Mutationsträger (Männer wie Frauen, k Abb. 22 a). Hier gibt es nur sehr wenige krank- machende Mutationen, zB die angeborene Ra- chitis (Störung des Knochen-Mineralhaushalts). Häufiger sind Mutationen im X-chromosomal re- zessiven Erbgang zu finden ( k Abb. 22 b). Solche wirken sich bei Frauen nur im homozygoten Fall aus. Wenn eine Frau das rezessive Allel hetero- zygot trägt, ist sie dagegen eine Konduktorin. Beim Mann kann das Y-Chromosom den Fehler nicht kompensieren, es kommt also stets zur Erkrankung. Häufig ist etwa die Rot-Grün-­ Sehschwäche ( k Abb. 23), bei der das Gen für Protein Opsin, dem Proteinanteil des Sehpig- ments, verändert ist, oder die Hämophilie („Bluterkrankheit“). Frauen besitzen die Gonosomen XX, Männer XY X d X d X D Y X D X d X d Y X D X d X d Y X d X D X d Y X D X d X D Y X d X d X d Y (D) (r) X R X r X R Y X R X r X R Y X R X R X r Y X R X R X r Y X R X r X R Y X R X r X R Y Konduktorin X-chromosomal- rezessiver Erbgang X-chromosomal- dominanter Erbgang Beispiele: angeborene Rachitis, erbliche Nachtblindheit, gelbbrauner Zahnschmelz Beispiele: Muskeldystrophie, Hämophilie, Rot-Grün-Sehschwäche Abb. 22: X-chromosomale Erbgänge: I m rezessiven Erbgang (b) treten gesunde Frauen als Konduktorin- nen auf. Abb. 23: Rot-Grün-Schwäche: Personen mit Rot-Grün- Schwäche erkennen die verborgene Zahl nicht. 9% aller Männer und 0,8% aller Frauen in Mitteleuropa sind von dieser Farbfehlsichtigkeit betroffen. Variabilität, Verwandt- schaft, Geschichte und Evolution Im X-chromosomal dominanten Erb- gang erkranken alle Mutationsträger, im rezessiven alle Männer Aufgabe W 1 Eineiige Schwestern und Brüder: Ein- eiige Zwillingsschwestern unterscheiden sich genetisch voneinander stärker als eineiige Zwillingsbrüder. Erkläre diesen Sachverhalt. Basiskonzept Variabilität, Verwandtschaft, Geschich- te und Evolution: Durch die Konzen­ tration entsprechender Gene auf dem X-Chro- mosom setzen sich Mutationen bei Männern sofort durch. Geht man davon aus, dass Frau- en intelligente Männer als Väter ihrer Kinder bevorzugen und dass dies ebenfalls ans X-Chromosom gekoppelt ist, können sich in- tellektuelle Fähigkeiten schnell ausbreiten. Umgekehrt setzen sich hier auch ungünstige Mutationen bei Männern leichter durch. Sta- tistisch gesehen gibt es daher bei Männern mehr hochintelligente, aber auch mehr ge- hirnkranke Personen. Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des Verlags öbv

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