am Puls Biologie 8, Schulbuch

28 Genetische Information wird zum Schweigen gebracht Laut dem zentralen Dogma der Molekularbiolo- gie verläuft der Informationsfluss ausschließlich von der DNA über die RNA zum Protein. Die RNA nimmt hier also eine passive Rolle ein – sie dient als Überträgerin, als Botin. Unter bestimmten Be- dingungen kann die RNA aber aktiv in die Bil- dung von Proteinen eingreifen. Die beim Spleißen anfallenden RNA-Schnipsel (als mikro-RNA bezeichnet) können an Abschnit- te der DNA binden, die dann nicht mehr transkri- biert werden können. Dieser Bereich wird also stillgelegt (Silencing). Die mikro-RNA kann auch in Keimzellen vorkommen und damit an Nach- kommen weitergegeben werden. Die regulatorische Wirkung der mikro-RNA hat sich im Laufe der Evolution vermutlich aus der RNA-Interferenz (RNAi) entwickelt. Dieser Mecha- nismus wurde 1998 von Andrew Z. Fire 1 und Craig C. Mello 2 entdeckt, die dafür 2006 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielten. Dieser Vorgang dient Zellen von Eukaryoten da- zu, die Translation doppelsträngiger RNA zu ver- hindern. Doppelsträngige RNA stammt in der Regel von Viren und kann entsprechend eine Gefahr für die Zelle darstellen (siehe S. 31). Ein Häcksler-Enzym (dicer 1 ) schneidet doppelsträn- gige RNA in Stücke von ca. 20 Basenpaaren ( k Abb. 20 a). Diese Fragmente werden dann von anderen Enzymen in Einzelstränge getrennt. Ein Enzymkomplex namens RISC (RNA-induced silencing complex) belädt sich nun mit einem der Stücke ( k Abb. 20 b) und erkennt damit weitere unerwünschte RNA an der Sequenz und zer- schneidet diese ( k Abb. 20 c). Die Fremd-RNA wird so zum Schweigen gebracht. In der Gentechnik nutzt man diesen Vorgang, um bestimmte Gene zum Verstummen zu bringen. Genau genommen werden nicht die Gene, sondern die transkribierte RNA still gelegt. Bei RNA-Interferenz wird doppelsträngi- ge RNA zerschnitten, die als Fremdkörper eine Bedrohung für die Zelle darstellt Variabilität, Verwandt- schaft, Geschichte und Evolution Das Häcksler-Enzym zerschneidet doppel- strängige Viren-RNA in kurze Stücke. Ein Enzymkomplex (RISC) be- nutzt ein einzelsträngiges Frag- ment davon, um entsprechende RNA zu erkennen und durchzu- schneiden. Die zerschnittene RNA liefert kein funktionelles Genprodukt mehr — das Gen ist ruhiggestellt. Der Enzymkomplex ist wieder frei für die nächste Fremd-RNA. doppelsträngige Fremd-RNA Fremd-RNA Enzymkomplex mit RNA-Fragment als Erkennungsstück Abb. 20: RNAi. Beim Vorgang der RNA-Interferenz kann RNA zum Verstummen gebracht werden. Der Mechanismus dient dem Erkennen von Fremd-DNA (etwa von Viren), die als Doppelstrang vorliegt. Glossar 1 Dicer vom Englischen to dice für „in Würfel schneiden“ 2 Andrew Z. Fire (geb. 1959), US-amerikani- scher Biologe 3 Craig C. Mello (geb. 1960), US-amerikanischer Biochemiker Aufgabe W 1 RNA-Interferenz: RNAi stellt für die zelleigene RNA keine Gefahr dar. Erkläre diese Tatsache. Basiskonzept Variabilität, Verwandtschaft, Geschich- te und Evolution: Der Mechanismus der RNA-Interferenz ist ein gutes Beispiel für einen Funktionswandel eines molekularen Mechanismus: Aus dem ursprünglichen Schutzmechanismus gegen Fremd-DNA ent- stand eine weitere Funktion als Regulations- werkzeug der Genexpression. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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