am Puls Biologie 8, Schulbuch

136 Methoden in der Praxis CRISPR/Cas9 – Kandidat für Nobelpreis? Im November 2017 wurde einem 44-jährigen Patienten in den USA mit Hilfe von künstlichen Genscheren an einem bestimm- ten DNA-Abschnitt in Leberzellen ein funktionsloses Gen ge- gen ein funktionierendes Gen ausgetauscht. Das Verfahren heißt Genome Editing (wörtlich: „Genombearbeitung“), die Krankheit, an der er leidet, Morbus Hunter. Diese Krankheit be- ruht auf einer Mutation, durch die ein wichtiges Enzym in viel zu geringen Mengen gebildet wird. Dadurch reichern sich im Körper bestimmte Stoffwechselprodukte an, die in höherer Konzentration Nerven und Organe schädigen. Ob das Genome Editing im Fall dieses Patienten von Erfolg gekrönt ist, bleibt abzuwarten. Ähnlich wie bei Restriktionsenzymen erkennen auch die neue- ren Genscheren eine bestimmte Basenabfolge. Die derzeit in- teressanteste Genschere ist das CRISPR/Cas9-System 1 . Denn es ist präziser, einfacher und billiger als bisherige Verfahren. Entdeckt wurde es im Erbgut von Bakterien bereits 1987. Dort zerstört es eingedrungenes Viren-Erbgut. Dessen DNA-Bruch- stücke werden dann in das Bakteriengenom integriert und dienen dort als Erkennungssequenz für den Fall eines noch- maligen Virenangriffs – sozusagen ein bakterielles Immunsys- tem . Denn die aus ihnen transkribierten RNAs dienen CRISPR/ Cas9 als Lotsensequenzen: Sie führen die Genschere zu kom- plementären Erbgutsequenzen in der DNA wiederholt einge- drungener Viren. Es dauerte 25 Jahre, bis man erkannte, dass CRISPR/Cas9 in allen lebenden Zellen (und damit nicht in Viren) funktioniert. Das war vor allem das Verdienst der Arbeitsgruppen um die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier (die mit den wegweisenden Arbeiten dazu an den Max Perutz Laboren der Universität Wien begann) und der amerikanischen Struk- turbiologin Jennifer Doudna ( k Abb. 27), aber auch des ameri- kanischen Neurologen Feng Zhang . Indem man CRISPR/Cas9 künstlich mit einer bestimmten RNA-Lotsensequenz versieht, kann man zielgerichtet diejeni- ge DNA-Sequenz schneiden und verändern, an die die jeweili- ge RNA-Lotsensequenz bindet. So lassen sich im Erbgut ein- zelne DNA-Basen oder kurze DNA-Abschnitte einfügen bzw. herausschneiden . Fügt man neue DNA-Abschnitte als Vorlage hinzu, kann durch homologe Rekombination auch eine länge- re DNA-Sequenz eingefügt bzw. ein DNA-Abschnitt ausge- tauscht werden . Voraussetzung ist immer das Erzeugen eines Doppelstrangbruchs ( k Abb. 28). Viele Forschungsgruppen weltweit versuchen, CRISPR/Cas9 künstlich zu verbessern und für verschiedene Verfahren taug- lich zu machen. Erste CRISPR/Cas9-veränderte Pflanzen wer- den bereits im Freiland getestet. Auch für den Einsatz beim Menschen gibt es erste Studien. Es ist derzeit stark umstrit- ten, ob CRISPR/Cas9 als Gentechnik einzustufen ist, sofern nur vorhandene Gene ausgeschaltet werden, zB durch punktuelle Deletionen einzelner Basen. Das Verfahren hat so großes Po- tential, dass es nach Meinung vieler nur eine Frage der Zeit ist, bis dafür der Nobelpreis verliehen werden wird. Abb. 27: Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier CRISPR/Cas-Komplex Leit-RNA Repeat-RNA Cas-Protein DNA-Schere neu einzubauendes DNA-Fragment Abb. 28: CRISPR/Cas9. a) Aufbau eines CRISPR/Cas-Komplexes, b) Die RNA-Lotsensequenz findet die komplementäre Stelle in der Ziel DNA und Cas erzeugt einen Doppelstrangbruch – das Gen ist deaktiviert, c) Veränderte Cas-Proteine erzeugen Einzelstrangbrüche, wonach der zerschnit- tenen Ziel-DNA ein Fragment hinzugefügt werden kann – so kann zB eine Mutation repariert werden. a b c Cas-Proteine und RNA mit spezifi- schen RNA-Lotsensequenzen sind bei Spezialfirmen bestellbar. Glossar 1 CRISPR/Cas9: C lustered R egularly I nterspa- ced S hort P alindromic R epeats = gruppierte kurze palindromische (spiegelverkehrt kom- plementäre) Wiederholungen von bestimm- ten DNA-Sequenzen, die 23 bis 47 bp lang sind, während die zwischen ihnen liegenden Spacer 21 bis 72 bp umfassen; Cas9 ist ein mit CRISPR assoziiertes ( C RISPR- as sociated) En- zym, dass an bestimmte RNA-Sequenzen bindet (die RNA-Lotsensequenz) und DNA schneidet. Aufgaben W 1 Beschreibe mit eigenen Worten die Funktionsweise von CRISPR/Cas9. Du kannst da- für Videos aus dem Internet zu Hilfe nehmen. W 2 Sind Organismen, die mit Hilfe von CRISPR/Cas9 entstanden sind, gentechnisch verändert? Diese Frage beschäftigte 2018 so- gar den Europäischen Gerichtshof. Recher- chiere im Internet verschiedene Ansichten dazu. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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