am Puls Biologie 8, Schulbuch

133 Bio- und Gentechnik Gentests können „das Menschsein verändern“ Im Interview mit der Zeitung „Der Standard“ zeigte der amerikanische Krebsforscher Sid- dhartha Mukherjee auf, wie schwierig es ist, mit dem Wissen um Mutationen in den eigenen Ge- nen und entsprechenden Therapien umzugehen. Er erzählte: „Eine Patientin, Trägerin der BR- CA1-Mutation, kam unlängst zu mir. Durch diese Mutation hat sie ein signifikant höheres Brust- krebsrisiko. Ich kann ihr aber nicht sagen, ob sie, und wenn, in welchem Alter, sie erkranken wird. Sie wollte auch ihre Töchter genetisch testen lassen. Diese Mädchen sind neun und elf Jahre alt, haben also noch nicht einmal eine Brust. Was würde das ge- netische Wissen um diese Mutation für zwei heu- te gesunde Mädchen bedeuten? Das, was bei so einem Test herauskommt, sind nur Wahrschein- lichkeiten . Das Wissen darum hätte aber trotz- dem enorme Auswirkungen.“ Wie gehen wir mit Gentests und ent- sprechenden Thera- pieansätzen um? Personalisierte Medizin? Nicht nur in der Krebsforschung träumen viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter von einer „personalisierten Medizin“ . Für jeden Menschen könnte es dann aufgrund seiner ganz spezifischen genetischen Ausstattung eigene Medikamente geben – oder eben Therapien mit Genfähren, Plasmiden usw. Dabei stellen sich mehrere Fragen : Was mache ich mit dem Wissen, Gene zu besitzen, die poten- tiell oder tatsächlich zu einer Erkrankung füh- ren – v. a. wenn ich ggfs. nichts daran ändern kann? Was ist mit Krankheiten, die von Mutatio- nen in mehr als nur einem Gen verursacht werden? Wie gehe ich mit der Tatsache um, dass das blo- ße Vorhandensein solcher Mutationen nicht be- deuten muss, dass eine Krankheit ausbricht – denn das wird evtl. auch von epigenetischen Faktoren, meinem eigenen Verhalten (Rauchen, Ernährung, …) und anderem beeinflusst? Was bedeutet ein solch kostenintensiver Ansatz für unser Gesundheitssystem? Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten, aber gesellschaft­ liche Entwicklungen könnten einen gewissen Druck in eine bestimmte Richtung ausüben. Im folgenden Abschnitt werden wir uns deshalb mit Fragen auseinandersetzen, auf die es nicht immer klare Antworten gibt. Wie geht man mit dem Wissen um eigene Gene um, die möglicherweise zum Ausbruch einer Krankheit führen? Pränataldiagnostik und Abtreibung – welches Kind darf leben? Bei einer diagnostizierten Behinderung oder schweren Erkrankung des Fötus entschließen sich viele Paare zu einer Abtreibung. Es gibt Schätzungen, nach denen neun von zehn Frauen in Deutschland ihr Kind abtreiben, wenn bei ihm Trisomie 21 diagnostiziert wurde. Auch wenn es derzeit keine verlässlichen Statistiken dazu gibt, eines ist sicher: Mit zunehmenden Diagnose- möglichkeiten nimmt der Anteil von Babys mit Down-Syndrom ab. Sind Menschen mit Trisomie 21 also weniger lebenswert als andere? Der österreichische Behindertenrat schrieb im März 2019: Eine „Differenzierung von behinder- ten und nicht behinderten Ungeborenen zum Nachteil der behinderten Ungeborenen stellt eine klare Diskriminierung dar und widerspricht der Antidiskriminierungsklausel in der Bundes- verfassung Art. 7, sowie der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen.“ Wer sich für eine Abtreibung entscheidet, trifft diese Entscheidung nicht leichtfertig. Jeder Ein- zelfall ist besonders, weshalb man vorsichtig mit Verurteilung sein sollte, insbesondere, wenn das Kind schwer leiden würde. Man könnte aber die Frage stellen, ob nicht eine angemessene Unterstützung betroffener Famili- en, eine in der Gesellschaft deutlich zum Aus- druck gebrachte Akzeptanz für Menschen mit Behinderungen und schweren Krankheiten so- wie ggfs. die Freigabe zur Adoption so manche Abtreibung verhindern würde. Wie brisant dieses Thema ist, zeigen Debatten um die so genannte nachgeburtliche Abtreibung („after-birth abortion“), die 2013 von zwei austra- lischen Wissenschaftern vorgeschlagen wurde. Faktisch würde dabei ein Neugeborenes auf- grund einer schweren Erkrankung oder Behinde- rung getötet. Abtreibung klingt aber für viele an- genehmer als Kindstötung. Darf man vermutlich behinderte Kinder abtreiben? Aufgaben W 1 Recherchiere, welche Gentherapien derzeit in Europa zugelassen sind und welche Genmutationen bzw. daraus resultierende Krankheiten damit behandelt werden sollen. S 2 Recherchiere im Internet zu „after-­ birth abortion“. Wie lauten die Argumente der Befürworterinnen und Befürworter, wie die der Gegnerinnen und Gegner? Als Aus- gangspunkt kannst du den frei verfügbaren Artikel „After-birth abortion: why should the baby live?“ von Alberto Giubilini und Fran- cesca Minerva im Journal of Medical Ethics (2013) nehmen. Lies auch die Kommentare der Leserinnen und Leser (unter dem Reiter „Responses“). Verfasse einen kurzen Text, in dem du deine Ansichten dazu darlegst. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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