am Puls Biologie 8, Schulbuch

111 Die Entstehung der Artenvielfalt Blick in die Forschung Koevolution von Pflanzen und Bestäubern Artbildung bei den Ragwurzen Damit Pflanzen sich sexuell fortpflanzen können, ist oft ein weiterer Beteiligter nötig: Der Pollen einer Pflanze muss ir- gendwie auf die Narbe einer anderen Pflanze derselben Art übertragen werden. Viele Pflanzenarten bedienen sich dabei der Hilfe von Tieren, meist von Insekten, die sie mithilfe unter- schiedlicher Tricks anlocken. Pflanzen bieten zB süßen Nektar an, und während die Tiere sich diesen holen, nehmen sie den Pollen auf, und verbreiten ihn so weiter. Dabei haben sich durch Koevolution häufig sehr spezielle Pflanze-Tier-Paare gebildet. Bei manchen Arten ist die Spezia- lisierung so weit fortgeschritten, dass nur eine einzige Art als Bestäuber geeignet ist ( k S. 105, Abb. 10). Evolutionsbiologinnen und -biologen an der Universität Zürich forschen an zwei sehr eng verwandten Ragwurzarten, die von zwei unterschiedlichen Bienenarten bestäubt werden: Der Spinnenragwurz (Ophrys sphegodes) und der Adriatischen Ragwurz (Ophrys exaltata) . Die Ragwurzen gehören zu den Orchideen, und locken ihre Bestäuber durch ihr insektenähn- liches Aussehen und durch Sexuallockstoffe, die sie produzie- ren, an. Die Bienenmännchen halten die Blüten der Orchideen aufgrund des Dufts und Aussehens für Bienenweibchen, und versuchen, sich mit ihnen zu paaren – dabei übertragen sie den Pollen. Unterschiedliche Bestäuberinsekten führen dazu, dass die Artgrenze zwischen den beiden eng verwandten Ragwurz-­ Arten aufrecht erhalten bleibt, und dass es zu keiner Vermi- schung der Genpools kommt. Die Forscherinnen und Forscher konnten zeigen, dass nur ge- ringe molekulare Unterschiede in den Sexuallockstoffen der beiden Ragwurz-Arten für das Anlocken der unterschiedlichen Bienenarten verantwortlich sind. Die Duftstoffe unterscheiden sich in ihrer chemischen Struktur geringfügig in der Position ihrer Doppelbindungen. Verursacht werden diese Unterschie- de durch ein bestimmtes Gen mit dem Namen SAD2, das da- für codiert, dass Doppelbindungen eingefügt werden. Dieses Gen funktioniert also als „ Barriere-Gen “, das dank der unterschiedlichen Sexuallockstoffe, die so produziert werden, zur Anlockung von zwei verschiedenen Bienenarten führt. So wird eine Reproduktionsbarriere zwischen den beiden Rag- wurz-Arten erzeugt und aufrecht erhalten. Dieses Beispiel zeigt, dass bereits eine Mutation, die ein Gen, oder wenige Gene, betrifft, und eine kleine biochemische Än- derung verursacht, ausreichen kann, um den Genfluss zu un- terbrechen, Reproduktionsbarrieren zu schaffen, und so zum Entstehen von neuen Arten zu führen. Abb.17: Spinnenragwurz und Adriatische Ragwurz. Diese beiden eng verwandten Arten gehören zu den Orchideen. Aufgaben E 1 Diskutiere, um welche Form der Art- bildung (allopatrisch vs. sympatrisch) es sich im Beispiel der Ragwurzen handelt. Lies dazu noch einmal die Definitionen der allopatri- schen und sympatrischen Artbildungen auf den Seiten 102–103 nach. W 2 Die Hummel-Ragwurz, eine heimi- sche Orchideenart ( k Abb.18), ahmt mit einem Blütenblatt den Geschlechtspartner von Hum- meln nach. Außerdem sendet sie einen Stoff aus, der dem Sexuallockstoff der Hummeln entspricht. Erkläre, wie diese Merkmale durch Koevolution entstanden sind. Finde den wis- senschaftlichen Namen dieser Pflanze her- aus. W 3 Die erwähnte Studie über die beiden Ragwurzen wurde 2011 im Wissenschaftsjour- nal PNAS unter dem Titel „Stearoyl-acyl carri- er protein desaturases are associated with floral isolation in sexually deceptive orchids” veröffentlicht. Finde die Studie im Internet und recherchiere die Namen der beiden betei- ligten Bestäuberinsektenarten. Abb.18: Hummel-Ragwurz Basiskonzept Variabilität, Verwandtschaft, Geschich- te und Evolution: Eine geographische Barriere ist nicht unbedingt notwendig, damit neue Arten entstehen können. Auch eine klei- ne Mutation, die Einfluss auf den Genfluss in einer Population hat, und eine Reproduktions- barriere innerhalb der Population erzeugt, kann zu einer Artbildung führen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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