am Puls Biologie 8, Schulbuch

110 Methoden in der Praxis Das Dilemma mit Nahrung und Furcht vor Feinden Kann man experimentell überprüfen, welche Verhaltensstrategie optimal ist? Trade-offs sind gut erforscht, zum Beispiel an Populationen von Pflanzenfressern. Ein Standort mit gut bekömmlichen Nahrungspflanzen ohne Fressfeinde wäre für sie optimal. Ein solcher Standort existiert aber nicht, oder wäre schnell abge- weidet. An vielen Standorten mit geringer Gefahr durch Fress- feinde sind gute Futterpflanzen rar. Umgekehrt gibt es viele Standorte mit reichhaltigem Futter, doch großer Gefahr durch Fressfeinde. Bevorzugen Pflanzenfresser dann eher die Vari- ante „sicher, aber wenig ergiebig“ oder die Variante „gefähr- lich, aber sehr ergiebig“? Mit Hilfe von Experimenten kann man überprüfen, wie Tiere einen Ausweg aus diesem Dilemma finden. Zwergkaninchen ernähren sich in kalifornischen Wüstenarealen vorwiegend vom Wüsten-Beifuß. An offenen und gut einsehbaren Standor- ten sind die Zwergkaninchen beim Fressen von Kojoten und Uhus bedroht. An gut abgeschirmten Standorten mit Be- buschung ist diese Bedrohung viel geringer. Allerdings weisen die Nahrungspflanzen hier eine höhere Konzentration an Cineol auf. Cineol ist ein unbekömmlicher Inhaltsstoff, der den Zwergkaninchen zusetzt. Gutes Futter ist daher an siche- ren Plätzen kaum zu finden. Bevorzugen die Tiere einen Standort ohne Feinddruck, aber mit minderwertiger Pflanzennahrung oder einen Standort mit Feinddruck und guter Pflanzennahrung? Zwei alternative Hypothesen wurden experimentell überprüft: 1. Im Laufe der Evolution haben die Individuen in einer Popu- lation eine optimale Verhaltensstrategie entwickelt. 2. Im Laufe der Evolution haben sich mehrere gleichwertige Kompromisslösungen entwickelt. Methode In Laborversuchen wurden neun Individuen aus einer Wildpo- pulation von Zwergkaninchen zwei Futteroptionen angeboten: 1. Wüsten-Beifuß mit geringem Cineolgehalt aus einer offenen Landschaft. Dieses Futter wurde ohne Versteckmöglichkeit dargeboten. 2. Wüsten-Beifuß aus einer Landschaft mit guten Versteck- möglichkeiten, aber mit einem höheren Cineolgehalt. Dieses Futter wurde mit Versteckmöglichkeit dargeboten. Ergebnis & Schlussfolgerung Die neun Individuen nutzten die beiden Futteroptionen sehr unterschiedlich ( k Abb. 16). Es hat sich in der Population also nicht eine optimale Verhaltensstrategie entwickelt, die von allen Kaninchen gleichermaßen angewandt wird, sondern vielmehr mehrere Kompromisslösungen. Die Ergebnisse stüt- zen daher nicht Hypothese 1, sondern Hypothese 2. Wie eine Vielzahl solcher Experimente ge- zeigt hat, führt die Evolution nicht immer zum Bestehen einer Optimalstrategie. Eine solche würde zB bestehen, wenn alle Zwergkaninchen zu 2/3 ihres Futters an versteckten Futterplätzen und 1/3 an aus- gesetzten Futterplätzen aufnehmen wür- den. Stattdessen existiert haufig eine Pa- lette gleichwertiger Verhaltensweisen. Literatur: Utz, J. L.; Shipley, L. A.; Rachlow, J. L.; et al.: Understanding tradeoffs between food and predation risks in a specialist mam- malian herbivore. In: Wildlife Biology. 2016, Nr. 22, S. 167–174 relative Futteraufnahme Futteroption 1: mit Cineol, mit Versteck Futteroption 2: ohne Cineol, ohne Versteck Individuen Zwergkaninchen 1.0 0.8 0.6 0.4 0.2 0.0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Abb.16: Versuchsergebnisse. Die unterschiedlichen Individuen nutzten die angebotenen Futtermöglichkeiten sehr unterschiedlich. Aufgabe E 1 Auch in unserem Alltag hindern Trade-offs uns daran, „alles zu haben“. Erkläre am Beispiel des Taschengelds, was ein Trade-­ off ist. Zeige, dass dadurch zB eine individuel- le Vielfalt an Elektronik, Kleidung und Sport­ aktivitäten erzeugt wird. Basiskonzept Variabilität, Verwandtschaft, Geschich- te und Evolution: Vielleicht denkst du, dass der Versuch seltsam wirkt – warum wählt man gerade einen unbekömmlichen Stoff für gut verfügbare Pflanzen? Diese Situ- ation ist auch der Natur nachempfunden und ist eine Folge einer koevolutionären Anpas- sung ( k S. 105): Pflanzen, die leicht zu fressen sind, müssen sich schützen – und die Evoluti- on hat in diesen Fällen die Entwicklung „che- mischer Waffen“ gefördert. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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