am Puls Biologie 8, Schulbuch

107 Die Entstehung der Artenvielfalt Evolution zeigt sich an der Zusammensetzung von Populationen Warum hat es bis ins 19. Jahrhundert gedauert, bis Evolution „entdeckt“ wurde? Das liegt wohl daran, dass der Vorgang nicht gerade offensicht- lich ist. Evolution verläuft in der Regel viel zu langsam, um sie mit eigenen Augen beobachten zu können. Daher klingt es überraschend, dass im Jahr 1908 Godfrey Hardy 1 und Wilhelm Wein- berg 2 zeigten, dass man mit einer einfachen ma- thematischen Formel berechnen kann, ob sich in einer Population die Häufigkeit eines Merkmals ändert, ob also bezüglich dieses Merkmals Evolu- tion stattfindet oder nicht. Die Formel gibt die Phänotyp-Häufigkeiten für alle möglichen Kombinationen der vorhandenen Allele an, unter der Annahme, dass keine Evolu- tion stattfindet. In einer solchen „idealen Popula- tion“ gäbe es weder Selektion noch Mutation, noch Zu- oder Abwanderung (Migration). Alle Individuen hätten die gleichen Fortpflanzungs- chancen. Die Hardy-Weinberg-Regel sagt aus, dass in einer solchen idealen Population die Allelhäufigkeiten über die Generationen hinweg unverändert bleiben. Nehmen wir an, eine Ausgangspopulation der Wunderblume bestünde nur aus roten und wei- ßen Blumen (dh rosa käme nicht vor), und es hät- ten 10% den Phänotyp rot (Genotyp RR ) und 90% wären weiß (Genotyp WW ). Die Allelhäufigkeiten sind dann p = 0,1 für das Allel R und q = 0,9 für das Allel W . Wie du in Abbildung 12 siehst, blie- ben in der Folgegeneration diese Allelhäufigkei- ten gleich. Das ist logisch, denn wenn in einer Population alle Individuen die gleichen Fort- pflanzungschancen haben, dann sollte sich auch an den Allelhäufigkeiten nichts ändern, also kei- ne Evolution stattfinden. Abbildung 12 zeigt noch einen weiteren Aspekt der Hardy-Weinberg-Regel: Das Verhältnis der möglichen Genotypen RR : RW : WW entspricht in einer nicht evolvierenden Population ab der F 1 -Generation in allen weiteren Generationen dem Verhältnis p 2 : 2pq : q 2 . Bei einem Verhältnis der Allelhäufigkeit von 10% R (p = 0,1) zu 90% W (q = 0,9) – wie in Abbildung 12 – muss das Ver- hältnis der Genotypen RR : RW : WW in allen Ge- nerationen somit ebenso 1% : 18% : 81% betra- gen, für den Fall, dass keine Evolution stattfindet. Ob das in einer Population wirklich zutrifft, kannst du experimentell prüfen. Dazu muss nur die Anzahl der verschiedenen Genotypen gezählt werden. Daraus berechnest du die Anteile p und q für die beiden Allele R und W . Mit den Werten von p und q berechne dann die nach der Har- dy-Weinberg-Regel zu erwartenden Häufigkeiten der Genotypen RR (p 2 ), RW (2pq) und WW (q 2 ). Stimmen die beobachteten Zahlenwerte mit den berechneten überein, ist gezeigt, dass die Popu- lation hinsichtlich dieses Merkmals nicht evol- viert. Man sagt dann, dass sich die Population im Hardy-Weinberg-Gleichgewicht befindet. Abweichungen hingegen weisen auf Selektions- prozesse hin. Mit Hilfe der Hardy-­ Weinberg-Regel kann rechnerisch überprüft werden, ob sich Allelhäufig- keiten ändern, d. h. ob Evolution statt- findet R W R W RR RW WR WW Folgegeneration Phänotyp: rot rosa weiß Genotyp: RR RW WW Häufigkeit Genotypen: p 2 =0,01 2pq=0,18 q 2 =0,81 Allelhäufigkeiten: p=0,1; q=0,9 Ausgangspopulation Phänotyp: Genotyp: RR WW gegeben: Anteil R : p=0,1; Anteil W : q=0,9 p=0,1 Eizellen Wunderblume ( Mirabilis jalapa ) Samenzellen p=0,1 Häufigkeit p 2 =0,01 Häufigkeit qp=0,09 Häufigkeit qp=0,09 Häufigkeit p 2 =0,81 q=0,9 q=0,9 rot weiß Abb.12: Hardy-Weinberg-Regel. Bei gleichen Fortpflanzungschancen für alle Individuen bleibt die Allelhäufigkeit über die Generationen konstant. Glossar 1 Godfrey Hardy (1877–1947), britischer Mathe- matiker 2 Wilhelm Weinberg (1862–1937), deutscher Arzt Aufgabe S 1 Anwendung der Hardy-Weinberg-­ Regel: In einer Wunderblumen-Population findest du folgende Ergebnisse. Berechne die Gesamtanzahl der Allele R und W und die Allelhäufigkeiten p und q . Berechne daraus die erwarteten Häufigkeiten laut der Hardy-­ Weinberg-Gleichung. Stimmen die berech- neten und beobachteten Zahlen überein? Welchen Schluss kannst du daraus ziehen? a) Phänotyp (Genotyp) b) ausgezählte Pflanzen c) Anzahl Allele rot ( RR ) 20 40 rosa (RW oder WR ) 120 240 weiß ( WW ) 60 120 Summe 200 400 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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