am Puls Biologie 8, Schulbuch

106 5.3 Konsequenzen der Evolution Das Zusammenspiel von Mutation und Selektion erklärt die vielfältigen Angepasstheiten von Or- ganismen. Läuft das früher oder später darauf hinaus, dass alle Lebewesen „Optimallösungen“ darstellen? Spätestens dann könnte ja auch die genetische Variabilität sinken und schließlich nur ein einziger „optimaler“ Genotyp übrig bleiben. In natürlichen Populationen beobachtet man dies aber niemals. Dort finden wir immer geneti- sche Vielfalt, andauernde evolutionäre Verände- rung sowie mehrere Lösungen nebeneinander. Eine Ursache dafür ist, dass Veränderungen in den biotischen und abiotischen Einflüssen einen ständigen evolutionär Wandel notwendig ma- chen – eine Optimallösung bleibt also nicht für immer optimal. Ein weiterer, wichtiger Grund stellen stammes- geschichtliche Einschränkungen dar, die häufig auch als konstruktive Zwänge bezeichnet wer- den. Beispielsweise sind Vögel mit Schnabel, Füßen und Flügeln sehr geschickt, aber hätten sie zusätzlich noch Arme, dann wären sie un- schlagbar. Doch die Vorfahren der Vögel waren vierbeinige Dinosaurier, und deshalb ist ihr Körperbauplan auf ein zusätzliches Extremitätenpaar nicht aus- gelegt. Auch der Mensch ist seinen konstruktiven Zwän- gen ausgeliefert. Die Wirbelsäule der Wirbeltiere war ursprünglich eine durchgebogene „Hänge- brücke“ zwischen Schulter- und Beckengürtel, an der die Organe des Bauchraums aufgehängt waren. Der moderne Mensch richtete die Wirbel- säule auf, um aufrecht zu gehen. Das führte da- zu, dass die Wirbelsäule eine doppelte S-förmige Krümmung annahm, um das Körpergewicht zu tragen. Das macht sie jedoch anfällig. Unsere Evolution ist also unter anderem eine Ursache, warum wir Menschen so häufig mit Rückenschmerzen zu kämpfen haben. Eine Maschine kann man von Grund auf neu konstruieren. Evolutionäre Veränderungen sind dagegen ein „Umbau bei laufendem Betrieb“. Konstruktive Zwän- ge verhindern, dass Organismen völlig frei evolvieren und zu optimalen Super- organismen werden Variabilität, Verwandt- schaft, Geschichte und Evolution Aufgabe W 1 Maulbrüter: Die meisten Fischarten sind Freilaicher, d. h. sie geben Ei- und Spermi- enzellen ins freie Wasser ab. Die im Atlantik und Mittelmeer vorkommenden Meerbarben- könige ( k Abb. 11) bebrüten jedoch die be- fruchteten Eier und Jungtiere im Maul. Re- cherchiere zum Brutverhalten dieser Fische und beschreibe das Maulbrüten als Teil eines Trade-offs. Abb.11: Meerbarbenkönig Basiskonzept Variabilität, Verwandtschaft, Geschich- te und Evolution: Der „Bauplan“ eines Lebewesens ist das Ergebnis eines langen Evolutionsprozesses. Je grundlegender ein Merkmal ist, umso unwahrscheinlicher ist die Änderung. So sind zB Änderungen bei Fellfär- bungen oder Krallenformen relativ einfach möglich, die Änderung der Anzahl der Extre- mitäten hingegen ist nicht möglich ( k S. 72). Unsere Evolutionsgeschichte schränkt die weitere Entwicklung ein Natürliche Selektion führt zu Kompromisslösungen: Trade-offs Neben den konstruktiven Zwängen haben Kom- promisse zwischen Merkmalen oder negative Kopplungen Einfluss auf die Evolution und schränken die Optimierung ein. Diese Kompro- misse werden auch Trade-offs genannt. Ein Tra- de-off liegt vor, wenn ein Aspekt nur verbessert werden kann, indem ein anderer verschlechtert wird. Dafür gibt es viele Beispiele: Für Tiere wäre es aus evolutionsbiologischer Sicht optimal, mög- lichst viele möglichst weit entwickelte Nachkom- men zu produzieren. Beides zugleich geht aber nicht. Ein Tier, das viele Nachkommen hervor- bringt, muss in Kauf nehmen, dass diese weniger entwickelt geboren werden. Ein Tier, das weiter entwickelte Nachkommen produziert, muss zwangsläufig deren Anzahl verringern. Ähnlich verhält es sich bei Pflanzen: Eine Pflanze, die große Samen produziert, kann nicht gleich- zeitig auch viele Samen erzeugen. Dies erklärt die Vielfalt der Lebewesen . Schnelle und langsame, Spezialisten und Generalisten, alle können nebeneinander gleich erfolgreich sein, weil jeder nicht nur Stärken, sondern auch Schwächen besitzt. Als positiver Nebeneffekt bleibt so die genetische Variabilität in der Popu- lation erhalten. Organismen zeigen also viele optimierte Merk- male, Trade-offs und konstruktive Zwänge ver- hindern aber, dass sämtliche Merkmale optimiert werden und die Evolution zu fehlerlosen Super- organismen führt. Erfolgreich sind Lebewesen, die insgesamt eine möglichst hohe Angepasst- heit zeigen. Positive Anpassun- gen haben auch ne- gativen Auswirkun- gen, daher sind alle Anpassungen Kom- promisse Nur zu Prüfzwecken – Eig ntum des Verlags öbv

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