am Puls Biologie 8, Schulbuch

105 Die Entstehung der Artenvielfalt Biotische Faktoren und Koevolution Lebewesen teilen sich ihren Lebensraum mit anderen Arten und stehen mit vielen davon in Wechselwirkung. Sie sind für einander Nahrungs- quellen, Krankheitserreger, Symbionten, Parasi- ten, Fressfeinde, oder Konkurrenten. Durch diese Vielzahl von Einflüssen sind Lebewesen stark voneinander abhängig. Solche Wechselwirkungen zwischen Lebewesen bezeichnet man als biotische Faktoren . Sie bewir- ken starke Selektion, d. h. sie sind relevant für das Überleben einer Art und damit für die Evolution. Einflüsse, die nicht von anderen Lebenwesen aus- geübt werden, bezeichnet man als abiotische Faktoren (zB physikalische Rahmenbedingungen wie Luftdruck oder O 2 -Gehalt). Auch diese Fakto- ren sind wichtig für die Evolution, aber sie sind oft über lange Zeiträume weitgehend konstant. Im Gegensatz dazu ändern sich biotische Fakto- ren ständig – jede Art muss sich laufend an ihre Umgebung anpassen. Evolutionäre Veränderun- gen einer Art führen daher oft zu einer kompen- sierenden oder komplementären evolutionären Veränderung einer anderen Art. Abb. 9 zeigt ein Beispiel einer evolutionären Wechselwirkung zwischen einer Pflanzenart und einer diese Pflanze fressenden Käferart. Durch den Fraßdruck der Käferpopulation haben Pflan- zen mit einem giftigen Inhaltsstoff einen Selek- tionsvorteil – sie werden seltener gefressen und können sich öfter fortpflanzen. Jene Gene, die für das Gift verantwortlich sind, werden in den nächsten Generationen häufiger. Andererseits werden Käferindividuen, die gegen das Gift re- sistant sind, besser überleben können. Die Resis- tenz-Gene könnten sich also in der Käferpopulati- on etablieren. Schließlich könnte bei der Pflanze durch zufällige Mutation ein neuer giftiger In- haltsstoff auftreten. In der Folge könnten wieder- um neue Resistenzen bei den Pflanzenfressern evolvieren. Das Beispiel von Käfer und Pflanze wirkt wie ein evolutionärer Wettlauf: Neue Anpassungen einer Art ziehen Anpassungen bei der anderen Art nach sich und umgekehrt. Stehen Arten auf diese Weise miteinander in enger evolutionärer Wech- selwirkung, so spricht man von Koevolution. Solche evolutionären Wettläufe sind häufig. Gepard und Antilope koevolvieren genauso, wie dies Mensch und Malariaparasit tun. Auch Insek- ten und Blütenpflanzen, die sich in einer engen Beziehung zum gegenseitigen Nutzen befinden, koevolvieren ( k Abb. 10). Um überleben zu können, müssen sich Arten also immerwährend an andere Arten anpassen. Ko­ evolution hört erst auf, wenn eine der beteiligten Arten ausstirbt oder wenn eine Art einen Ort be- siedelt, wo es die andere Art nicht gibt. Da sich die bioti- schen Faktoren in einem Ökosystem ständig ändern, wirkt Selektions- druck auf alle Orga- nismen, die davon betroffen sind Kompartimentierung Selektionsdruck (Fraß) Selektionsdruck (Gift) Evolution von Toxin A Evolution von Toxin B Resistenz gegen A Resistenz gegen A und B Zeit Abb. 9: Wechselseitiger Selektionsdruck. Das Entste- hen eines Merkmals bei einer Art führt zu Selektions- druck auf die andere Art und vice versa. Will die Hummel an den Nektar am Blütengrund des Wiesensalbeis gelangen, muss sie mit dem Kopf auf diese Platte drücken. Dadurch kippt das Staubblatt … …nach unten und belädt den Rücken der Hummel mit Pollen. So gelangt dieser auf die Narbe der nächsten besuchten Blüte. Wegen der 30 cm langen Blüten- röhre der tropischen Orchideenart Angraecum sesquipedale sagte Charles Darwin voraus, dass es … … eine Nachtfalterart mit einem ent- sprechend langen Saugrüssel geben müsse. Die Art Xanthopan morganii wurde 40 Jahre später entdeckt. Abb.10: Koevolution kann zur Spezialisie- rung von Blüten auf eine einzige Bestäuber- art führen. Da diese Nahrungsquelle den meisten Konkurrenten verschlossen ist, wird sie von der Bestäuber- art intensiv genutzt. Aufgaben S 1 Ende von Koevolution: Stirbt ein Part- ner einer durch Koevolution entstandenen Be- ziehung aus, hat das meist negative Auswir- kungen auf das Ökosystem. Dies gilt für Räuber-Beute-Beziehungen wie für Symbio- sen. Versuche, Beispiele dafür zu finden. S 2 Im Roman „Alice im Wunderland“ sagt die Rote Königin zu Alice: „Hierzulande musst du so schnell rennen wie du kannst, um am selben Fleck zu bleiben“. Argumen- tiere, warum Evolutionsbiologinnen und -biologen diese Metapher benutzen, um Koevolution zu beschreiben. Basiskonzept Kompartimentierung: Arten bilden abgegrenzte Gemeinschaften mit be- stimmten Ansprüchen. Überschneiden sich die Ansprüche mehrerer Arten, kommt es zu einem koevolutionären Wettbewerb oder zu Konkurrenzausschluss (Verdrängung). Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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