am Puls Biologie 8, Schulbuch

103 Die Entstehung der Artenvielfalt Neue Arten können sich auch im Gebiet der Elternart bilden Können auch innerhalb einer Population in dem- selben Gebiet, d. h. ohne geografische Trennung, getrennte Arten entstehen? Diesen Prozess bezeichnet man als sympatrische Artbildung ( k Abb. 5). Lange haben Evolutionsbiologinnen und -biologen das für unwahrscheinlich gehal- ten, aber mittlerweile gilt es als geklärt, dass dis- ruptive Selektion ( k S. 70) tatsächlich zur Artbil- dung ohne geographische Trennung führen kann. Ein Beispiel dafür sind die Galapagosfinken ( k Abb. 7). Alle Arten stammen von wenigen Indi- viduen einer Singvogelart ab, die vor ca. 2,3 Milli- onen Jahren vom südamerikanischen Festland aus die Galapagos-Inseln kolonisierten. Zu dieser Zeit gab es auf den fast unbesiedelten Inseln kei- ne samenfressenden Vögel. Durch die fehlende Konkurrenz hat auf den leeren Inseln eine adap- tive Radiation 1 eingesetzt: Es entstanden sehr vielfältige Kopf- und Schnabelformen. Durch eine bevorzugte Verpaarungen innerhalb des gleichen Typus haben sich bis heute 13 Arten herausgebil- det, die heute nebeneinander existieren. Sympatrische Artbildung stellt also eine Kombi- nation aus disruptiver Selektion und sexueller Selektion dar: Hierbei finden bestimmte Weib- chen eine neue Variante von Männchen mit einem bestimmten Sexualsignal attraktiver, wäh- rend andere Weibchen Männchen mit einem anderem Sexualsignal bevorzugen. Die Nach- kommen beider Gruppen erben die jeweilige Vor- liebe und das dazu passende Sexualsignal. Bei der Partnerwahl bevorzugt jede Gruppe weiter- hin Ihresgleichen. Sympatrische und allopatrische Artbildung sind zwei gut erforschte Wege, wie neue Arten entste- hen können. Oft sind sie schwer zu trennen. Im Beispiel der Finken war vermutlich zuerst eine Anpassung an verschiedene Nahrungsformen entstanden, erst dann trennten sich die Finken allmählich auch räumlich. Ein solcher Artbil- dungsprozess, bei dem Genfluss zwischen den Teilpopulationen besteht, und sich erst allmäh- lich eine geographische Trennung ergibt, nennt man parapatrische Artbildung ( k Abb. 5). Spalten sich Arten innerhalb eines Lebensraums auf, spricht man von sympatrischer Art- bildung Anteil in der Population Schnabelhöhe (mm) 40 20 0 40 20 0 40 20 0 8 10 12 14 16 18 20 22 Kleingrundfink Mittelgrundfink Großgrundfink Großgrundfink Samenfresser Knospenfresser Insektenfresser Mittelgrundfink Kleingrundfink Spitzschnabel-Grundfink Opuntiengrundfink gemeinsamer Vorfahre vom südamerikanischen Festland Kaktusgrundfink Dickschnabel-Darwinfink Zwerg-Darwinfink Papageischnabel- Darwinfink Kleinschnabel- Darwinfink Mangroven- Darwinfink Specht-Darwinfink Galapagossängerfink Inseln: Pinta und Marchena Daphne Los Hermanos Galapagos- Inseln Süd- amerika Koexistenz führt zu Spezialisierungen in der Schnabelhöhe. Die Schnäbel der Samenfresser sind an das Fressen unterschiedlich großer und harter Samen angepasst. Kaktus- und Opuntienfin- ken können Kaktusfrüchte öffnen. Mit ihren kräftigen Schnäbeln können die Knospenfres- ser Blüten und Knospen abreißen und fressen. Die unterschiedlichen Schnäbel der Insektenfresser ermöglichen je nach Form die Insektensuche in Ritzen, unter Rinden, auf Blättern, das Fressen von Larven oder wie beim Galapagossängerfink das rasche Zupicken im Laub. Abb. 7: Sympatrische Artbildung: Aus einer eingewanderten Stammart sind 13 Arten entstanden, die sich auf verschiedene Futterquellen spezialisiert haben. (Je nach Systematik werden manchmal auch 14 verschiedene Arten unterschieden.) Variabilität, Verwandt- schaft, Geschichte und Evolution Glossar 1 Adaptive Radiation , vom Lateinischen adapt- are für anpassen und radiatus für ausstrah- lend: Prozess der Veränderung und Auffäche- rung einer ursprünglichen Art in eine Vielzahl neuer Formen. Basiskonzept Variabilität, Verwandtschaft, Geschich- te und Evolution: Durch den Mechanis- mus der sympatrischen Artbildung können sich relativ rasch zwei Teilpopulationen her- ausbilden. Hybridisierungen finden zwar statt, die daraus entstehenden männlichen Zwischenformen werden aber von keinem der beiden Weibchentypen bevorzugt. Man schätzt, dass durch sympatrische Artbildung aus einer Vorläuferart bereits in 100 000 bis 200 000 Jahren neue Arten entstehen können. Nur zu Prüfzweck n – Eigentum des Verlags öbv

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