am Puls Biologie 8, Schulbuch

100 Aus evolutionsbiologischer Sicht ist der morpho- logische Artbegriff nicht ausreichend. Nicht das Aussehen ist entscheidend, sondern ob sich Indi- viduen verpaaren und fruchtbare Nachkommen haben können ( k Abb. 2). Eine solche Fortpflan- zungsgemeinschaft ist genetisch isoliert und evolviert als Einheit. Man spricht von einer bio­ logischen Art oder Biospezies . Dieser biologische Artbegriff ist zwar in hohem Maß anerkannt, aber oft schwierig zu überprü- fen: Wer sich mit wem fortpflanzen könnte oder fortgepflanzt hat, kann nur exemplarisch nach- gewiesen werden. Bei asexuellen, also klonalen Populationen, wie zB bei Bakterien, müsste man jedem Genotyp eine eigene Art zuordnen, was wenig Sinn macht. Außerdem ist nicht überprüf- bar, ob Angehörige zeitlich getrennter Generatio- nen, zB ein Rotfuchs heute und einer vor 100 Jah- ren, Artgenossen sind. Bei fossilen Arten kann dies naturgemäß gar nicht überprüft werden. Abb. 2: Zebroid. Zu einer Biospezies gehören nur Lebewesen, die sich verpaaren können und fruchtbare Nachkommen haben. Pferd und Zebra können Nachkommen haben, diese Zebroide sind aber unfruchtbar. Pferd und Zebra gehören damit nicht zur gleichen biologischen Art. Eine Biospezies ist eine Gruppe von Lebewesen, die sich untereinander fort- pflanzen und frucht- bare Nachkommen haben Die Biospezies ist über die Fortpflanzung definiert Der phylogenetische Artbegriff betrachtet die genetische Ähnlichkeit Der phylogenetischen Artbegriff betont die ge- meinsame Abstammung: Er definiert eine Art als die gesamte Gruppe von Individuen, die über einen bestimmten Zeitraum auf einen gemeinsa- men Vorfahren zurückgeführt werden kann. Die gemeinsame Abstammung lässt sich feststel- len, indem man die Unterschiede zwischen den DNA-Sequenzen von unterschiedlichen Individu- en betrachtet. So können Ähnlichkeiten auf mole- kularer Ebene objektiv gemessen werden, und es lässt sich aussagen, ob Gruppen von Individuen eine Art oder mehrere bilden. Ab einer gewissen Anzahl von Unterschieden in der DNA-Sequenz spricht man dann von verschiedenen Arten. Diese Artdefinition ist völlig unabhängig vom Aussehen der Individuen oder ihrer realen Fort- pflanzungsfähigkeit, und ist daher sehr weitrei- chend anwendbar. Dadurch gewinnt der phylo- genetische Artbegriff zunehmend an Bedeutung. Traditionell wurden Arten nach ihrem Aussehen, also nach ihrer Morphologie, beschrieben. Seit DNA Analysen möglich sind und molekulare Ähn- lichkeiten herangezogen werden können, muss- ten viele bestehende Arten einer neuen Eintei- lung, die auf der Abstammung basiert, weichen. Diese ist allerdings nicht immer eindeutig ( k Abb. 3). Der phylogenetische Artbegriff berück- sichtigt die gemein- same Abstammung 1 2 1 2 3 1 2 3 4 5 6 7 morphologischer Artbegriff Alter der Gruppe biologischer Artbegriff phylogenetischer Artbegriff 1 A B C D E F G H I J K L Die kurvigen Linien stehen für den stetigen Wandel der Merk- male in Abstammungslinien. sexuelle Formen asexuelle Formen ausgestorbene Linien oder Aufgrund der genetischen Ähnlichkeit lassen sich 2 oder 3 Arten rekonstruieren. Bei 7 Gruppen lassen sich Fortpflanzungsschranken nachweisen, also 7 Arten. Morphologisch sind keine Ab- grenzungen erkennbar. Es ist eine Art. Aber auf DNA-Ebene zeigen sich mehrere kryptische Arten. Abb. 3: Verschiedene Artbegriffe. In diesem theoretischen Beispiel ist ein Stammbaum von 12 Populationen (A bis L) gezeigt, die sich morphologisch nicht unterscheiden (a). Andere Artbegriffe lassen eine Aufspaltung in mehrere Arten zu (b und c). Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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