am Puls Biologie 6, Schulbuch
26 Die Netzhaut: Empfang und Weiterverarbeitung der Signale Auf der vorigen Seite war von Sinneszellen, Sehschärfe und Farbwahrnehmung die Rede. Du hast gelesen, dass das Rezeptionsvermögen nicht überall in der Retina gleich ist. Woran liegt das? Wenn wir uns den Aufbau der Retina im Schnitt ansehen ( k Abb20), fällt uns auf, dass sie mehre- re Zelltypen enthält. Neben den eigentlichen Sinneszellen (Stäbchen und Zapfen, siehe unten) gibt es mehrere andere Nervenzelltypen: Bipo- larzellen verbinden die Sinneszellen mit den Ganglienzellen, deren Axone den Sehnerv bilden, der zum Gehirn führt. Horizontalzellen verschal- ten Sinneszellen untereinander, Amakrinzellen die Ganglienzellen. Die eigentliche Fotorezeption erfolgt in den Sin- neszellen, von denen die Wirbeltiernetzhaut zwei Typen besitzt: Beim Menschen treten zu den ca. 125 Millionen Stäbchen noch 6 Millionen Zapfen. Die Zapfen sind zwar ca. 100-fach weniger licht- empfindlich, dafür aber für Licht kurzer (Blau- Zapfen), mittlerer (Grün-Zapfen) oder langer Wellenlänge (Rot-Zapfen) besonders empfäng- lich. Dies ist nicht bei allen Wirbeltieren so (siehe Kasten unten). Wie kam es dazu, dass im Lauf der Evolution zwei verschiedene Sinneszelltypen entstanden sind? Bei guter Beleuchtung kann man mit dem Farbsehsystem, also den Zapfen, komplexe Sze- nen schnell auswerten – etwa den Reifegrad von Früchten im dichten Laub. Bei schwachem Licht wären wir aber blind. Das hochempfindliche Dämmerungssystem der Stäbchen aber ermög- licht auch Sehen bei sehr wenig Licht, selbst bei Neumond, nur mit dem Licht der Sterne. Auf molekularer Ebene ist das Sehen an ein Pro- tein gekoppelt, das Rhodopsin. Dieses besteht aus dem eigentlichen Proteinmolekül, dem Opsin, das selbst nicht lichtempfindlich ist, und dem Retinal, einem kleinen Molekül. Das Retinal kann bei Lichtabsorption seine Form ändern und dadurch andere Signalproteine aktivieren, die über weitere molekulare Verstärkung eine riesige Anzahl an Na + -Kanälen an der Membran öffnen. Die Empfindlichkeit für bestimmte Wellenlängen (und damit Farben) kommt nicht vom Retinal, sondern vom Opsin: Unterschiedliche Amino- säuren an bestimmten Stellen dieses Proteins entscheiden über die Empfindlichkeit. Zapfen ermöglichen Farbsehen im hellen Licht – Stäbchen ermöglichen Sehen bei schwachem Licht Variabilität, Verwandt- schaft, Geschichte und Evolution Abb.20: Bau der Netzhaut. In der Netzhaut liegen Sinneszellen (Stäbchen und Zapfen, rechts im Detail), die mit Neuronen verschaltet sind. Lichteinfall zum Sehnerv Ganglienzelle Amakrinzelle Schaltzellen Bipolarzelle Horizontalzelle Stäbchen Stäbchen (S) Zapfen Zapfen (Z) Pigmentzelle Aderhaut Disk (Membranlamelle) mit Rhodopsin Cytoplasma Zellmembran Mitochondrium Zellkern Vesikel mit Neuro- transmitter Glutamat synaptische Endigung Basiskonzept Variabilität, Verwandtschaft, Geschich- te und Evolution: Das Vorhandensein von Zapfentypen spiegelt den evoluti- onären Werdegang der Säugetiere wieder: Die ursprünglichen Wirbeltiere besaßen vier Zapfen, die das Lichtspektrum der Sonne gut abdecken. Die ersten Säugetiere waren nach- taktiv (ein Konkurrenzvorteil gegen über den damals weit verbreiteten Dinosauriern), wo- durch Zapfen von eher geringer Bedeutung waren. Zwei Typen gingen verloren (UV und grün). Nach dem Aussterben der meisten Dinosaurier entwickelten sich immer mehr tagaktive Säuger, für die Farbsehen zuneh- mend bedeutend wurde. Durch eine Mutation des Gens, das für den Farbstoff der Rot-Zap- fen verantwortlich ist, entstand aus den Rot- Zapfen ein neuer Zapfentyp, der mehr für grün empfindlich ist. So haben wir (wieder) drei Zapfen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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