am Puls Biologie 6, Schulbuch
22 1.4 Störungen des Nervensystems Neuronale Störungen im Überblick Bei einem System, das so komplex ist wie unser Nervensystem, kann es natürlich zu Störungen und Fehlfunktionen kommen. Neben genetisch bedingten Störungen können Infektionskrank- heiten auftreten, wie zB die Frühsommer-Me- ningo-Enzephalitis (FSME), eine Gehirnhautent- zündung. Diese Erkrankung wird von Viren hervorgerufen, die im Speichel von Zecken über- tragen werden. Andere neurologische Störungen kommen durch die Aufnahme von Stoffen wie Drogen oder Medikamente zu Stande, etwa durch Nikotin. Wiederum andere Erkrankungen haben vielfälti- ge und oft noch unverstandene Ursachen. Bei Multipler Sklerose (MS) beispielsweise greift das Immunsystem die Myelinscheide der Neuro- nen an. Bekannt sind auch Krankheiten wie Alz- heimer und Parkinson. Erstere ist eine Störung, bei der die Neuronen im Gehirn absterben, was sich in fortschreitender Demenz äußert. Bei der Parkinson-Krankheit sterben in einem bestimm- ten Hirnbereich Neuronen ab, die Dopamin als Neurotransmitter produzieren. Dadurch kommt es zu einer gehemmten und zittrigen Bewegung. Weitere bekannte neurologische Störungen sind Epilepsie, Migräne oder Depressionen, wobei der Übergang zu psychischen Störun- gen 1 fließend ist. Neuronale Störun- gen können durch vielfältige Faktoren verursacht werden Medikamente, Drogen und Gifte beeinflussen die synaptische Übertragung Raucherinnen und Raucher beeinflussen mit je- der Zigarette ihre synaptische Übertragung. Der Wirkstoff Nikotin ist ein pflanzlicher Giftstoff, der in den Blättern der Tabakpflanze vorkommt. Ein Milligramm Nikotin pro Kilogramm Körperge- wicht ist bei Erwachsenen bereits eine tödliche Dosis. Kleinkinder können schon an der Nikotin- menge einer einzigen Zigarette sterben. Beim Inhalieren des Rauches wird das Nikotin über die Lunge ins Blut aufgenommen und im Körper verteilt. Die Nikotinmoleküle setzen sich an die Bindungsstellen bestimmter Acetylcholin- Rezeptoren und öffnen die Kanäle. Dazu kann Nikotin (als kleines Molekül) die Blut-Hirn- Schranke 1 überwinden, wo es direkt auf das Be- lohnungszentrum einwirkt: Stoffe wie Serotonin oder Endorphine, die Glücksgefühle bewirken, werden freigesetzt. Allerdings stellt sich das Be- lohnungszentrum schon nach kurzer Zeit so ein, dass der Zustand mit Nikotin als Normalzustand wirkt, also nicht mehr positiv wirkt. Dafür emp- findet man fehlendes Nikotin als „Unterglück“ – man wird süchtig nach Nikotin. Nervengifte werden aber auch von verschiede- nen Lebewesen wie Pilzen, Spinnen, Amphibien, Meeresschnecken oder Schlangen produziert. Diese setzen die Gifte als Schutz ein, oder um Beute zu töten ( k Abb.15). Ein Beispiel ist Curare, ein Gift südamerikanischer Lianen, das als Pfeil- gift bekannt ist. Das Molekül setzt sich an die Acetylcholin-Bindungsstellen der Rezeptoren, ohne die Kanäle zu öffnen. Dadurch werden Synapsen (v. a. zwischen Neuronen und Muskel- zellen) blockiert, da Acetylcholin keine Andock- stellen mehr findet. Die Folgen sind Muskel- lähmung und Atemstillstand. Andere bekannte Nervengifte sind das Bakteriengift Botulinum- toxin sowie das als chemische Waffe entwickelte Gas Sarin. Nikotin ist ein Nervengift, das u. a. auf das Belohnungs- zentrum im Gehirn wirkt Variabilität, Verwandt- schaft, Geschichte und Evolution Das Nervengift Curare blockiert Synapsen zwischen Neuronen und Muskelzellen Abb.15: Kreuzspinne ( Araneus diadematus ). Alle Spinnen sind giftig, aber nur wenige können die Haut eines Menschen durchdringen. Die Kreuzspinne kann nur für Kleinkinder unangenehm werden und ist sonst harmlos. Glossar 1 Psychische Störungen: Betreffen im Unter- schied zu neurologischen Störungen nicht einen abgegrenzten Bereich des Nerven- systems, sondern das gesamte Gehirn. 2 Blut-Hirn-Schranke: Dichte Abgrenzung der Blutgefäße vom ZNS. Während Blutgefäße normalerweise den Durchtritt von Zellen er- möglichen (zB zur Immunabwehr), sind die Gefäßzellen im ZNS sehr dicht miteinander verbunden. So sind Gehirn und Rückenmark vor Krankheitserregern und vielen Giften ge- schützt. Aufgaben S 1 Eine große Gefahr für Kleinkinder ist das Kauen oder Verschlucken von Ziga- retten. Zähle Möglichkeiten auf, wie dieses Risiko minimiert werden kann und wie Erste Hilfe geleistet werden kann, wenn ein Kleinkind eine Zigarette verschluckt. Basiskonzept Variabilität, Verwandtschaft, Ge- schichte und Evolution: Viele Lebe- wesen setzen Nervengifte ein, um sich zu vor Feinden zu schützen oder um Beute zu töten bzw. zu lähmen. Im Laufe der Evoluti- on entstanden diese Giftstoffe, sozusagen im „Wettrüsten“ mit dem Nervensystem, das die Tiere zunehmend schneller und effektiver machte. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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