am Puls Biologie 6, Schulbuch
105 Ökologie Die ökologische Nische ist die Stellung, die eine Art im Wechselspiel mit allen anderen Arten und unter Einfluss aller abiotischen Faktoren eines Lebensraums einnimmt Auf der vorherigen Seite hast du erfahren, dass jede Art spezifische Ansprüche an ihre Umwelt stellt. Manche Arten sind darauf angewiesen, dass bestimmte Umweltfaktoren konstant in einem engen Bereich bleiben. Andere ertragen ohne weiteres größere Schwankungen. Letztlich entscheidet der Umweltfaktor über Vorkommen und Häufigkeit einer Art, der am weitesten vom Optimum entfernt ist. Dieses Gesetz des Mini- mums wurde bei Düngungsversuchen von den deutschen Wissenschaftern Carl Philipp Sprengel (1787–1859) und Justus von Liebig (1803–1873) er- kannt. Das erhöhte die Produktivität der Land- wirtschaft enorm: Die für guten Pflanzenwuchs oft begrenzenden Mineralstoffe Stickstoff und Phosphor werden seither vielerorts nicht nur durch (organischen) Dung, sondern mittels (anorganischem) Mineraldünger zugefügt. Wenn an einem Standort alle für das Überleben einer Art notwendigen Bedingungen erfüllt sind, sollte sie eigentlich gut leben und sich ausbrei- ten können. Doch genau das ist nur selten der Fall. Denn jede Art in jedem Lebensraum steht in Beziehung zu vielen anderen Arten – und manche davon haben sehr ähnliche Ansprüche. Ein Beispiel aus dem Waldbau liefert die Wald-Kiefer (Rot-Föhre) Pinus sylvestris . Sie ist in Reinkultur sehr tolerant bezüglich der Boden- feuchte und kann daher sowohl auf sehr nassen als auch sehr trockenen Standorten gedeihen. Es wäre folglich zu erwarten, dass man diese Art in naturnahen Mischwäldern an Standorten un- terschiedlicher Feuchtigkeit antrifft. Tatsächlich findest du Wald-Kiefern nur an sehr trockenen oder sehr nassen Standorten, obwohl sie dort nicht in ihrem Optimum (mittlere Feuchtigkeit), sondern am Rande ihres Toleranzbereichs leben. Ähnlich verhält es sich bezüglich des Boden-pH- Werts ( k Abb. 3a). Der Grund für das eingeschränkte Vorkommen der Wald-Kiefer sind biotische Umweltfaktoren ( k Abb. 3b–d). In unseren mitteleuropäischen Wäldern schränkt die Konkurrenz durch Rot-Bu- che, Schwarz-Erle und Stiel-Eiche die Verbreitung der Wald-Kiefer ein. Dadurch wird sie gewisser- maßen an den Rand ihrer Feuchtigkeits- und pH-Toleranz gedrängt ( k Abb. 3e). Du siehst: Nicht ein Faktor, sondern die Gesamt- heit der abiotischen und biotischen Umweltfak- toren bestimmt das Vorkommen und die Häufig- keit einer Art. Diese Wechselbeziehungen einer Art mit all ihren Umweltfaktoren hat in der Öko- logie eine besondere Bedeutung und wird als ökologische Nische bezeichnet. Diese Nische ist kein Lebensraum, den man aufsuchen kann, um dort die Art zu finden. Das wären Habitate. Ein Habitat ist die „Adresse“ einer Art: Hier kann man sie antreffen. Demgegenüber ist die ökologische Nische die „Rolle“, die eine Art in einem Lebensraum ein- nimmt, ihr Platz im Beziehungsgeflecht aller dort lebenden anderen Arten und der auf sie einwir- kenden abiotischen Umweltfaktoren. Manchmal untersucht man nur eine Teilnische einer Art und teilt damit die Nische künstlich auf. Zum Beispiel spricht man von Nahrungsnische oder Brutni- sche. Das Beispiel der Wald-Kiefer verdeutlicht auch, dass es zwei verschiedene Arten von Nischen gibt. Lässt man die Wechselwirkungen mit ande- ren Arten, die biotischen Umweltfaktoren, unbe- rücksichtigt, erhält man eine sehr weite ökologi- sche Nische. Diese Nische nennt man die Fundamentalnische. Das trifft allerdings nicht die Verhältnisse in der Natur. Denn, wie du gesehen hast, die Wald- Kiefer kommt nicht überall dort vor, wo alle Kriterien ihrer Fundamentalnische optimal erfüllt sind. Hingegen trifft man diese Art in einem Ge- biet an, das zumindest hinsichtlich der Boden- feuchtigkeit nur am Rand des Toleranzbereichs liegt, ihrer Realnische. Diese Realnische stimmt mit der Fundamentalnische nicht komplett über- ein, muss aber eine Teilnische der Fundamental- nische bleiben, da die Art nicht außerhalb ihrer ökologischen Potenz existieren kann. Derjenige Umwelt- faktor, der am weitesten vom Optimum entfernt ist, entscheidet über das Vorkommen einer Art Die Fundamental- nische ist die aufgrund der abio- tischen Faktoren mögliche, die Realnische die tatsächliche Nische, die eine Art besetzt Abb.3: Ökologische Nischen von Bäumen. Die Toleranzen für Feuchtigkeit und pH-Wert bei vier Baumarten im Zweifaktorendiagramm unterscheiden sich in Reinkultur (a–d) und unter Konkurrenzbedin- gungen (e). sauer alkalisch sauer alkalisch nass trocken nass trocken sauer nass trocken alkalisch sauer nass trocken alkalisch sauer nass trocken alkalisch Wald-Kiefer (Reinkultur) Stiel-Eiche (Reinkultur) Schwarz-Erle (Reinkultur) Mischwald Rot-Buche (Reinkultur) Der dunkelste Farb- raum kennzeichnet jeweils das Optimum. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv
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