am Puls Biologie 5, Schulbuch

145 Botanik Blick in die Forschung Der Lotus-Effekt Die Natur als Ideengeberin für technolog isch e E rfindungen Vor 40 Jahren fiel dem Bonner Professor Wilhelm Barthlott und seiner Arbeitsgruppe auf, dass die Blätter der Lotuspflan- ze ( k Abb. 52) nie verschmutzt aussehen, obwohl sie in schlammigen Gewässern wachsen. Irgendetwas musste dafür sorgen, dass Verunreinigungen auf ihrer Oberfläche nicht haften können. Sie schauten sich die Oberfläche der Lotosblätter im Raster­ elektronenmikroskop 1 an. Dabei entdeckten sie, dass die Blät- ter nicht nur eine ausgeprägte Kutikula besaßen. Zusätzlich fanden sie auf deren Oberfläche eine Unmenge nur 10 bis 20 Mikrometer großer und sehr dicht stehender Wachshügel . Wie du weißt, ist Wachs stark wasserabweisend. Diese Wachshügel sind dafür verantwortlich, dass Wassertrop- fen die Blattoberfläche fast gar nicht berühren. Aufgrund ih- rer Oberflächenspannung sehen die Tropfen auf Lotosblättern tatsächlich tropfenförmig aus ( k Abb. 53). Andernfalls würden sie zerfließen, wie du beobachten kannst, wenn du Wasser auf eine Glas- oder Keramikoberfläche tropfen lässt. Für die Lotuspflanze hat diese Oberflächenstruktur große Vor- teile: Die leicht abperlenden Wassertropfen entfernen Schmutzpartikel, und es bleibt kein Wasserfilm auf den Blät- tern, in dem schädliche Pilze wachsen könnten. Mittlerweile macht man sich diesen Lotus-Effekt im Alltag zu- nutze. Beispielsweise gibt es Wandfarben, die aufgrund ihrer Oberflächenstruktur bei jedem Regenguss sauber gewaschen werden ( k Abb. 55). Auch die Glasscheiben der Maut-Kameras auf Autobahnen sind mit einer entsprechenden Oberfläche ausgestattet. Der Lotus-Effekt zeigt, wie Beobachtungen aus der Natur zu technischen Innovationen führen können, die unseren Alltag erleichtern. Abb. 52: Lotus-Blüte. Abb. 53: Oberfläche eines Lotusblatts mit Wassertropfen und Schmutzpartikeln. Abb. 54: Oberfläche eines Lotusblatts. Rasterelektronenmikroskopi­ sche Aufnahme (1250-fache Vergrößerung). Abb. 55: Technische Anwendung des Lotus-Effekts. Wassertropfen auf einer wasserabweisenden Materialoberfläche. Glossar 1 Rasterelektronenmikroskop: Mikroskop, mit dem man feinste Strukturen dreidimensional sehen kann Aufgaben E 1 Du kannst den Lotus-Effekt nachstel­ len, indem du einen Objektträger an einer Stelle berußt (zB mit einem Feuerzeug oder Teelicht). Achte dabei darauf, dass das Glas nicht so heiß wird, dass du dich verbrennst! Nachdem das Glas abgekühlt ist, tropfst du einen Wassertropfen auf die berußte Stelle und pustest ihn vorsichtig über das Glas. Was passiert? E 2 Auch einige Pflanzen, die du kennst, besitzen eine Lotus-ähnliche Oberfläche. Be­ pudere Blätter von Kapuzinerkresse oder Kohl mit Mehl und finde heraus, ob sich das Mehl mit einigen Wassertropfen abwaschen lässt. Du kannst auch vergleichen, wie sich Honig­ tropfen auf Glas und Kohlblättern verhalten. S 3 Welche Bedeutung hat dieses Ex­ periment für deinen Alltag? Finde weitere Anwendungen des Lotus-Effekts. Literatur: Barthlott, W.; Neinhuis, C.: Purity of the sacred lotus, or escape from contamination in biological surfaces. In: Planta. 1997, Jg. 202, S. 1–8. Barthlott, W.; Mail, M.; Bhushan, B.; Koch, K.: Plant Surfaces: Structures and Functions for Biomimetic Innovations. In: Nano-Micro Letters. 2017, Jg. 9, H. 23. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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