Bausteine Geschichte 4, Schulbuch

82 Österreich vor dem Krieg Eine Gesellschaft im Konflikt Politischer Extremismus* Politische Extremistinnen und Extremisten dulden oft keine andere Meinung als ihre eigene. Sie begeistern sich vorwiegend für Ideen, die gegen die Regeln einer Demokratie sind. Meist sind sie auch bereit, für die Durchsetzung ihrer Ziele Gewalt anzuwenden. Die Zeit der Ersten Republik in Österreich (1918–1938) war geprägt von Auseinandersetzungen politischer Extreme. Gegeneinander statt miteinander Die Gegensätze zwischen den beiden größten Parteien nach dem Ersten Weltkrieg, den Christlichsozialen und den Sozialdemokraten, wurden immer größer. Bewaffnete Parteiheere entstanden: die „Heimwehr“ in Verbindung mit den Christlichsozialen und der „Republikanische Schutzbund“ bei den Sozialdemokraten. Dazu kamen weitere gewaltbereite Gruppen, zum Beispiel die „Frontkämpfer*“ oder die Nationalsozialisten. Sie alle versuchten durch Aufmärsche, Gewalt und Demonstrationen ihre Ziele durchzusetzen. Schattendorf Im Jänner 1927 kam es in Schattendorf (Burgenland) zu einem gewaltsamen Aufeinandertreffen zwischen dem „Republikanischen Schutzbund“ und den „Frontkämpfern“, die dabei einen Mann und ein Kind erschossen. Am 14. Juli wurden die Täter in einem Gerichtsverfahren freigesprochen. Aufgebrachte Demonstranten steckten daraufhin den Justizpalast in Brand. A B C Brand des Justizpalastes in Wien (Foto, 1927) 3 Quelle: „Reichspost“ vom 15. Juli 1927 (gekürzt) „Zwei Gruppen von Angeklagten standen im Schattendorfer Prozeß vor den Richtern. Die eine Gruppe, das waren die drei Frontkämpfer, denen der Staatsanwalt die […] Schuld an dem Tode des Schutzbündlers […] und des Knaben […] beigemessen hat. Die andere […] bestand aus […] kleinen Raufbolden und einflussreichen Parteimännern, gegen die keine formelle Anlage erhoben war […] Je weiter der Prozeß vorwärts kam, desto schärfer trat das Verbrechen der zweiten Gruppe hervor […] Selbst der Staatsanwalt konnte sich diesem Eindruck nicht entziehen. „Im vorliegenden Falle will ich ohne weiteres zugeben“, sagte er, „daß die moralische Schuld auf Seite jener liegt, die damals den sozialdemokratischen Gegenaufmarsch arrangiert haben.“ Auf diesem Sachverhalt beruht in erster Linie der heutige Freispruch […]“ 2 Quelle: „Arbeiterzeitung“ vom 15. Juli 1927 (gekürzt) „Mörder von Schattendorf freigesprochen! Nichts wird den drei Angeklagten, die am 30. Jänner in Schattendorf in eine Menschenmenge hineingeschossen, mit vollem Vorsatz die todbringenden Schüsse auf Menschen abgefeuert haben, die zwei Menschenleben vernichtet und fünf Menschen verletzt haben, nichts wird ihnen geschehen, kein Haar wird ihnen gekrümmt werden: die eidbrüchigen Gesellen auf der Geschworenenbank haben sie von allen Schuldfragen freigesprochen und unter dem Siegesgeheul der angesammelten Frontkämpfer sind sie, die zwei Menschenleben auf dem Gewissen haben, sofort in Freiheit gesetzt worden. Eine Schurkerei ist diese Freisprechung, wie sie […] vielleicht noch nie erlebt worden ist.“ 1 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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