Sprachräume, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Maturatraining

41 MÖBIUS: Wir sind wilde Tiere. Man darf uns nicht auf die Menschheit loslassen. Schweigen. NEWTON: Gibt es wirklich keinen andern Ausweg? MÖBIUS: Keinen. Schweigen. EINSTEIN: Johann Wilhelm Möbius. Ich bin ein anständiger Mensch. Ich bleibe. Schweigen. NEWTON: Ich bleibe auch. Für immer. Schweigen. MÖBIUS: Ich danke euch. Um der kleinen Chance willen, die nun die Welt noch besitzt davonzukommen. Doch die Hoffnung der drei ist vergebens. Mathilde von Zahnd hat über Jahre hinweg im Geheimen Möbius‘ Unterlagen kopiert. Nun wird sie die Weltherrschaft übernehmen. Die drei müssen begreifen: „Die Welt ist in die Hände einer verrückten Irrenärztin gefallen.“ Möbius spricht resigniert die bittere Erkenntnis aus: „Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“ 32 34 36 38 40 Herfried Münkler: Sicherheit und Risiko Sicherheit ist einGrundbedürfnis derMenschen, und das Streben danach ist der vielleicht wichtigste An- trieb zur Bildung von Gemeinschaften. Großgrup- penbildung erhöht die Sicherheit, zumindest das Si- cherheitsempfinden, und das wiederum begrenzt die Neigung zu Panik und Hysterie im Augenblick der Gefahr. Zwar kommen Gesellschaften nicht umhin, ausgewählte Mitglieder erhöhten Gefahren und Risi- ken auszusetzen; auf Dauer überlebensfähig sind sie aber nur, wenn sie ihren Kernbestand – klassisch ist hier von Frauen und Kindern die Rede – im Augen- blick der Gefahr in Sicherheit bringen können. Ge- meinschafts- und Gesellschaftsbildung läuft also dar- auf hinaus, die Sicherheit im Innern der Gemein- schaft zu erhöhen, indem Spezialisten der Gefahren- abwehr ausgesucht werden, die sich erhöhten Gefah- ren aussetzen. Dafür werden sie mit materiellen Gü- tern oder Symbolen der Anerkennung entlohnt. Sie gelten als Helden und werden als solche gefeiert. Doch es gibt unterschiedliche Typen von Katastro- phen: solche, die nur die Spezialisten der Gefahren- abwehr treffen, und solche, die auch das Innere einer Gesellschaft zerstören. Ersteres sind Katastrophen, die im kollektiven Gedächtnis als Risiken abgespei- chert werden und die Gesellschaften immer wieder eingehen. Letzteres dagegen sind Einschnitte der Ge- schichte, historische Wendepunkte, nach denen nichts mehr so ist, wie es vordem war. […] Solche Katastrophen zwingen, wenn die Gesellschaft die Katastrophe irgendwie überstanden hat, zu grundlegenden Neuorientierungen. So mancher, der vor solchen Katastrophen als Held angesehen wurde, gilt danach als Verantwortlicher für den Untergang. Das könnte unter dem Eindruck einer von Technik und Wissenschaft zu verantwortenden Katastrophe die Ingenieure und Wissenschaftler treffen. Sie ha- ben mit falschen Versprechungen die Gesellschaft in Sicherheit gewiegt. Gemeinsam mit der Mehrheit der Politiker haben sie die Gefahren unterschätzt und die Risiken falsch beurteilt. Damit haben sie die Gesellschaft in die Katastrophe geführt. […] Risiken werden eingegangen um der Chancen wil- len, die sichmit ihnen verbinden. Entsprechend kon- trovers ist die Debatte über die Nutzung der Kerne- nergie bei uns geführt worden. Ihre Befürworter ar- gumentierten mit den Chancen, die sie biete; die Gegner stellten die Unberechenbarkeit der als ,,Restrisiko“ klassifizierten Risiken heraus. […] Das ändert nichts daran, dass die Mitte zwischen Si- cherheit und Risiko immer wieder aufs Neue gefun- den werden muss. Der Fortschritt von Wissenschaft und Technik verschiebt die Balance zugunsten einer größeren Risikotoleranz: Man glaubt, die verbliebe- nen Risiken beherrschen zu können. Katastrophen jedoch zerstören diese Überzeugungen und lassen das Sicherheitsbedürfnis wieder in den Vordergrund treten. Es gibt Katastrophen, die sich mit der Zeit vergessen. In der Regel sind das solche, die nur die Gefahrenabwehrspezialisten getroffen haben. Katas- trophen, die das gesellschaftliche Innen nach außen gestülpt haben, lassen sich dagegen nicht vergessen. Mit ihnen beginnt eine neue Zeitrechnung. (Der Spiegel 13, 28.3.2011) 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 Textkompetenz Nur zu Prüfzwecken – Eig ntum des Verlags öbv

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