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SprAChrAuM 4 Glück 34 Was die Österreicher glücklich macht Dalai Lama: Ratschläge des Herzens Man kann auf unterschiedliche Arten glücklich sein. Manche Menschen leben aufgrund einer geistigen Störung in einem Zustand des naiven Glücks. Für sie ist immer alles in Ordnung. Dieses Glück ist aber nicht das Glück, um das es hier geht. Für andere gründet das Glück auf dem Besitz materieller Güter und auf sinnlicher Befriedigung. Wir haben bereits auf die Fragwürdigkeit dieser Einstellung hingewiesen. Auch wenn sie sich aus diesem Grund für wirklich glücklich halten – sie werden doppelt leiden, wenn ihnen die Umstände nicht mehr wohlgesonnen sind. Andere wiederum fühlen sich glücklich, weil sie moralisch denken und handeln. Das ist das Glück, das wir brauchen, denn dieses Glück hat tiefere Wurzeln und hängt nicht von den Umständen ab. Um dauerhaft glücklich sein zu können, müssen wir zuallererst erkennen, dass auch Leid zum Leben gehört. Das ist vielleicht anfangs deprimierend, aber auf lange Sicht können wir mit dieser Einstellung nur gewinnen. Wer es vorzieht, die Wirklichkeit zu leugnen, indem er Drogen nimmt, das falsche Glück in einer blinden Spiritualität sucht oder ungezügelt lebt, nur um nicht nachdenken zu müssen, erwirkt dadurch bloß einen kurzen Aufschub. Wenn dann die Probleme akut werden, sind diese Menschen oft nicht gegen Schwierigkeiten gefeit und „erfüllen das Land mit ihren Klagen“, wie man in Tibet sagt. Zorn oder Verzweiflung überkommen sie, und zu den anfänglichen Schwierigkeiten gesellt sich der Schmerz. Versuchen wir herauszufinden, woher unser Leiden kommt. Wie jedes andere Phänomen ist es das Ergebnis unendlich vieler Ursachen und Umstände. Hingen unsere Gefühle jeweils nur von einer einzigen Ursache ab, dann müssten wir nur einer einzigen „Glücksursache“ ausgesetzt sein, und wir wären hundertprozentig glücklich. Wir wissen aber genau, dass dem nicht so ist. Geben wir also die Vorstellung auf, dass wir sie nur finden müssten, um nicht mehr zu leiden. Anerkennen wir, dass das Leid Teil des Lebens oder buddhistisch gesprochen des Samsara, des Kreislaufs der bedingten Existenz, ist. Wenn wir das Leid als etwas Negatives oder Abnormales betrachten, dessen Opfer wir sind, dann führen wir ein erbärmliches Leben, denn dann werden wir Opfer unserer Einstellung. Glück ist nur dann möglich, wenn selbst das, was wir als Leid ansehen, uns nicht unglücklich macht. Nach buddhistischer Auffassung führt die Beschäftigung mit der Existenz des Leids nie zu Pessimismus oder Verzweiflung. Sie lässt uns die eigentlichen Gründe für unser Unglücklichsein erkennen, nämlich Begierde, Hass und Nichtwissen, und durch dieses Erkennen können wir uns davon befreien. Mit Nichtwissen ist hier das Unverständnis für die wahre Natur der Wesen und Dinge gemeint. Es ist die Ursache der beiden anderen Gifte. Sobald das Nichtwissen sich auflöst, haben Hass und Begierde keine Grundlage mehr, und die Quelle des Leids ist erschöpft. Daraus ergibt sich ein spontan altruistisches Glück, das nicht mehr der Spielball negativer Gefühle ist. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 Textkompetenz Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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