Sprachräume, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Maturatraining

SprAChrAuM 2 Flucht 14 STEFANOWITSCH: Denken soll jeder, was er will. Es soll auch jeder reden, wie er will, aber je- der ist auch dafür verantwortlich. Entscheidet sich zum Beispiel ein Medium bewusst, „Flücht- lingswelle“ zu schreiben, weil man es für ange- messen hält, bestimmte Gruppen herabzuwürdi- gen, dann weiß ich, woran ich bin. Sich aber zu- rückzulehnen und zu sagen: Wir brauchen nicht über Sprache nachzudenken – das ist zu wenig. Es gibt keine neutrale Sprache. STANDARD: Oft heißt es: Haben wir nichtsWich- tigeres zu tun, als über gute und böse Begriffe zu sprechen? STEFANOWITSCH: Das ist ein beliebiges Argu- ment – wir können immerWichtigeres finden als das, was wir gerade tun. Das Reden über Sprache hindert ja niemanden daran, dasWichtigere auch zu tun, auf Bahnhöfen Wasser an Flüchtlinge zu verteilen. Wir sprechen von zehn bis 20 Wörtern – sie nicht mehr zu verwenden belastet nieman- den, aber es wäre viel gewonnen. (Der Standard vom 13.11.2015) 94 96 98 100 102 104 106 108 110 112 (Kleine Zeitung vom 28.08. 2016, S. 8) Thomas Hödlmoser: Schicksale Am Beginn der Menschheitsgeschichte gab es kein Exil. DerMensch war Jäger und Sammler und als sol- cher war er ständig auf Wanderschaft. Erst vor rund 10.000 Jahren, in der Jungsteinzeit, wurde der Mensch sesshaft. Große Wanderbewegungen gab es imVerlauf der Jahrtausende dennoch immer wieder. Bedeutend für die europäische Geschichte wurde die Völkerwanderung vom vierten bis zum sechsten nachchristlichen Jahrhundert. Damals drangen Ger- manenstämme, vom Osten kommend, nach West- und Südeuropa vor. Auslöser war der Vorstoß der Hunnen aus der Mongolei. Eine Folge der Massen- wanderung war die Schwächung des Römischen Reichs, dessen Westhälfte im Jahr 476 unterging. In der Neuzeit, in der Ära des Kolonialismus, eroberten die Europäer die Welt, was eine massive Auswande- rung aus Europa zur Folge hatte. ZudemwurdenMil- lionen Sklaven von Afrika nach Amerika verfrachtet. Adam und Eva im Exil Das Exil ist eine SonderformderMigration. Es ist der langfristige Aufenthalt außerhalb des Heimatlandes, das aufgrund von Verbannung, Ausbürgerung, Ver- folgung durch den Staat oder wegen unerträglicher politischer Verhältnisse verlassen wurde. Der Exilant verlässt den Ort seines Großwerdens, den Platz sei- ner persönlichen Geschichte, den Ort, wenn man so will, der ihm seine Identität gab. Schon imAlten Tes- tament beginnt alles mit einer Vertreibung – jener von Adam und Eva aus dem Garten Eden. […] Josef in Ägypten Ein frühes Musterbeispiel eines Exilanten, der sich in der neuen Heimat bestens assimiliert, ist der bibli- sche Josef in Ägypten. Der Sohn Jakobs, der von den Brüdern verkauft wird und der im ägyptischen Exil zum Vizekönig aufsteigt, vergisst dennoch nie das Land seiner Geburt, Kanaan. […] Salzburger in Georgia Exil aus religiösen Gründen: Das suchten die Purita- ner, die aus England in die USA, und die Hugenotten, die aus Frankreich in die Nachbarländer flüchteten. Leicht hatten es die Exilanten in der neuen Heimat nicht, wie ein Beispiel aus Salzburg zeigt: Erzbischof Leopold von Firmian verwies noch in den Jahren 1731 und 1732, als das Zeitalter der Aufklärung längst begonnen hatte, mehr als 20.000 Protestanten des Landes. Tausende Männer, Frauen, Kinder, Alte und Gebrechliche mussten bei Schnee und eisigen Temperaturen ihr Zuhause verlassen, ohne Aussicht auf Wiederkehr. Die Evangelischen, deren Vertreter beimGlaubensschwur in ein Salzfass griffen und des- halb „Salzlecker“ genannt wurden, fanden in Ost- preußen eine neue Heimat. Ein Teil wanderte nach Amerika aus. In Georgia gründeten Salzburger die Siedlung Neu-Ebenezer. […] 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 Textkompetenz Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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