Sprachräume, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Maturatraining

SprAChrAuM 2 Flucht 12 Flucht Der Begriff „Flucht“ wird gedanklich meist mit Verfolgung in Verbindung gebracht. Doch fliehen kann man aus ganz unterschiedlichen Gründen und natürlich auch auf ganz unterschiedliche Arten. 25n6jt Sprachraum 2 Gerald John: Wenn der „Ansturm“ der „Asylanten“ losbricht „Flüchtlingswelle“ suggeriert Bedrohung, „Asyl- werber“ klingt nach Bittsteller, „Schwarzafrika- ner“ nach Kolonialzeit: Die Ausländerdebatte dreht sich auch um die Wortwahl. Nötige Sensibi- lisierung oder Tugendterror? Wien – Die Schlagzeile klang nach Unheil und Be- drohung: „Flüchtlinge, Aussiedler, Asylanten – An- sturm der Armen“ prangte in fetten Lettern auf der Titelseite, illustriert mit einem belagerten, fast vollen Boot. Panikmache eines reißerischen Boulevardblat- tes? Irrtum. Es war der hochseriöse Spiegel, der sein Cover mit dieser Headline zierte. Zur Ehrenrettung des deutschen Magazins sei ange- merkt: Die Ausgabe ist 24 Jahre alt. Damals stand „Asylant“, einst ein harmloser Ausdruck, erst auf hal- bem Weg zum Schimpfwort. Unzählige Debatten über „Asylantenschwemme“ und „Scheinasylanten“ später ist der Begriff heute so stigmatisiert, dass ihn Medien und Politiker des Mainstreams in Österreich und Deutschland kaum mehr verwenden. […] Metamorphose des Ausländers „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“, schrieb der Philosoph LudwigWittgen- stein, und diese ist in keiner anderenDebatte so vola- til 1 wie in jener über Flüchtlinge, Zuwanderer und Integration. Vom Gastarbeiter, der – wie das Wort suggeriert – (hoffentlich) bald wieder verschwindet, bis zum Menschen mit Migrationshintergrund hat der landläufige „Ausländer“ eine komplizierte Meta- morphose durchgemacht – was selbst über das rech- te Lager hinaus bisweilen auf Unverständnis und Ärger über semantischen „Tugendterror“ stößt. „Die Sprachdebatten wirken manchmal lächerlich“, räumt Pollak [Sprecher von SOS-Mitmensch] ein, „doch umPolitical Correctness geht es dabei nicht, sondern um Respekt und Präzision.“ Versklavter Mohr imHemd Dieser Anspruch stoße in der Praxis jedoch auf ein Problem, sagt MartinHaase, Sprachwissenschafter an der Universität Bamberg und Mitbetreiber eines „Neusprech“-Blogs: „Es gibt oft keine völlig neutra- len Begriffe.“ Haase verweist auf die gängigen Alter- nativen zum verpönten Asylanten: Die Bezeichnun- gen Asylwerber (Österreich) und Asylbewerber (Deutschland) unterstellten, dass Asyl etwas wäre, um das man sich „wie um einen Job bewerben müs- se“; tatsächlich handelt es sich aber um ein Grund- recht, das nicht von Gutdünken abhängt. Selbst „Flüchtling“ erregt in den Ohren mancher Sprach- wächter Anstoß, habe doch das Gros der Wörter mit der Endung -ling einen negativen Beiklang. Spitzfindigkeitenmusste sich Simon Inou oft vorhal- ten lassen bei seinemFeldzug gegen das – wie er sagt – „M-Wort“. Sauer aufgestoßen war dem aus Kame- run stammenden Journalisten eine süße Diskrimi- nierung: Der hierzulande ins Hemd gesteckte „Mohr“ ist für ihn nichts anderes als ein rassistisches Stereotyp, das für den „versklavten Afrikaner“ steht. Der Mohr im Hemd sei mittlerweile von mancher Speisekarte verschwunden, erzählt Inou. Das Vorar- lberger Mohrenbräu mit dem wulstlippigen Afro- kopf als Logo gibt es hingegen immer noch. Begriffe aus der Kolonialzeit Erfolgreicher war, wenn auch nach jahrzehntelan- gem Kampf, die Kampagne gegen den „Neger“, heu- te Unwort schlechthin. Allerdings lehnt dieMehrheit der afrikanischen Community auch die verbreitete Alternative Schwarzafrikaner ab – nicht nur weil der Begriff in der Kolonialzeit wurzelt. „Googeln Sie das Wort einmal“, empfiehlt Inou, „Sie werden es zu ei- nem Gutteil in Zusammenhang mit Kriminalität finden.“ Als Ersatz nennt Inou „Afroösterreicher“ oder schlicht „Schwarze“. Schwieriger ist da schon die Be- zeichnung des Gebietes: „Subsahara-Afrika“ klingt sperrig und ist ebenfalls nicht unumstritten. Militärische Metaphern Grenzt das nicht an Wortklauberei? Was bringt die 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 38 64 66 70 72 74 74 76 78 Textkompetenz Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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