Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

85 Textkompetenz Schriftliche Kompetenz vom Autor in dieser Kurzgeschichte dargestellte Problem nicht vorbei ist, sondern sogar noch gravierender wird. In diesem Sinn ist dieser Text sicher aktuell. c) Ich weiß die genauen Zahlen nicht mehr, aber in der Zeitung war vor einiger Zeit zu lesen, dass viele alte Menschen Selbstmord begehen, weil sie Angst haben, in ein Heim abgeschoben zu werden, wenn sie alleine nicht mehr zurecht kommen. Etwas von dieser Angst steckt auch in der alten Frau in den „Augenblicken“. d) Auch wenn die „Augenblicke“ von Walter Helmut Fritz recht spannend sind, weil man nicht weiß, wie sich hier eine Lösung finden lässt, ist ihr Inhalt eher banal. Auch meine Oma freut sich über jeden Besuch von mir und meiner Schwester. Und so wird es fast immer sein, dass die älteren Menschen froh sind, wenn sie nicht alleingelassen werden. Um das zu wissen, brauche ich aber nicht Walter Helmut Fritz. Heike Doutiné: Man müsste jung sein Was heißt das eigentlich, jung sein, fragt Jens. Das heißt, sage ich, dass man noch alles vor sich hat. Was heißt noch alles vor sich haben, fragt Jens. Das heißt, sage ich, dass du z. B. Arzt werden kannst oder Jurist oder – nun, du kannst wählen, dich frei entscheiden. Ich bin etwas geworden, sagt Jens, was mir ein Freund vorschlug, meine Mutter vorschlug, mein Vater vor- schlug, mein Lehrer vorschlug. Ich hätte alles werden können, sagt Jens, aber ich konnte nicht wählen. Denn wenn man nicht kennt, was man wählt, wählt man nicht. Man tut etwas. – Und gefällt dir das nicht, was du tust? – Ich habe die Prüfungen bestanden, sagt Jens. Ich habe alle Examen gemacht, sagt Jens. Und was ich vor mir habe, ist ein Leben, in dem ich alle Examen ge- macht habe und alle Examen machen werde und mei- ne Kinder wieder alle Examen machen werden. Viel- leicht habe ich ein paar Hobbys. Ich wollte mal Pianist werden. So spiele ich jetzt noch etwas Klavier. Meine Mutter wollte mal Sängerin werden. Jetzt singt sie beim Tischdecken. Mein Freund wollte mal Maler werden. Jetzt streicht er mein Bücherregal an. […] – Und wenn ich ihn jetzt frage, an was er glaubt, außer an sein Examen, wird er lachen. – Jens lacht. Ich glaube, sagt Jens, dass mich alle Leute nett finden, weil ich auch immer nett war. Nie wider- sprochen habe. […] Ich glaube, ich werde immer nett sein. Und ich glaube, ich werde Geld verdienen und noch etwas mehr Geld verdienen und noch etwas mehr Geld verdienen und noch etwas mehr Geld verdienen. Vielleicht reicht es mal zu einemHaus, mit nettenNach- barn, die nett sind, weil ich nett bin. Jetzt bin ich jung. – Tja. Tja, sage ich. – Man müsste was ändern, sagt Jens. – Was, sage ich. – Man müsste raus, sagt Jens. – Wohin, sage ich. – Etwas Eigenes tun, etwas Neues. – Was dich erwartet, sage ich, was uns alle erwartet, ist angestellt sein, angepasst sein. Es sind immer welche vor uns da. Fünfzigjährige, Sechzigjährige, die uns vom Gestern erzählen und uns vom Heute abraten. Wir tun, was sie sagen. […] Und dann warten wir, bis sie absterben und wir ihre Welt übernehmen. Ihre, nicht unsere. – Man müsste so sein wie Uwe, sagt Jens. – Der sitzt bei der Zeitung, sage ich, und schreibt seine Artikel um. Lernt Stil. Lernt das zu schreiben, was er nicht denkt, und glaubt bald daran. – Man müsste so sein wie ... – Wenn man raus geht, ändert man nichts. Und wenn man bleibt, wird man verändert. – Ich bin jung, sagt Jens. – Ja, sage ich. Ich bin auch jung. – Worauf warten wir noch, fragt Jens. – Darauf, sage ich, dass ich mein Examen noch mache. Als Lehrerin mit Lehrerpension. Wenn zwei verdie- nen, haben wir mehr davon. Junge Leute haben mehr davon, wenn zwei mehr verdienen. – Man müsste jung sein, sagt Jens. Dann könnte man. – Ja, sage ich, jung müsste man sein. 2 4 6 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 TEXt 2: 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 Einen epischen Text in Schritten interpretieren Untersuchen Sie, ob folgende Behauptungen über den Text („Interpretationshypothesen“) richtig oder falsch sind. Korrigieren Sie die falschen Annahmen mit Hilfe der entsprechenden Textstellen. Halten Sie Ihre Antworten schriftlich fest. Wählen Sie diejenige(n) Interpretationshypothese(n) aus, die Sie für Ihre Inter- pretation für wichtig halten. ƒƒ Die im Titel angegebene Thematik wird in Form eines Frage-Antwort-Spiels zwischen einem Jungen und einem Mädchen vorgeführt. ƒƒ Diese Thematik heißt: Jungsein bedeutet eigentlich, noch alles vor sich zu haben und sein Leben gestalten zu können. ƒƒ Diese Beurteilung bleibt allerdings für den jungen Mann eine bloß theoretische Annahme. ƒƒ Andere haben seine Zukunft bereits durch ihre Ratschläge vorgezeichnet. ƒƒ Es gibt jedoch Gegenbeispiele aus dem Familien- und Freundeskreis des Jungen und des Mädchens, die zeigen, dass Freiheit und Selbstbestimmung möglich sind. a 6.5 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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