Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPrACHrAuM 5  Dichten von der Klassik bis zum Vormärz 68 Textkompetenz Literarische Bildung neu. Nach der Befreiung hatten sich in den deutschen Staaten Hoffnungen auf demokratische Mitsprache gebildet. Doch durch ihren Sieg über Napoleon wurden die Herrscher Österreichs und Preußens gefestigt und versuchten, autoritäre politische Verhältnisse wie vor der Französischen Revolution wiederherzustellen. Auf politische Willkür, Bespitzelung, Zensur reagierten die einen, auch viele Schriftsteller, mit dem Rückzug ins Private, ins „Biedermeier“. Die anderen bekämpften den absolutistischen Staat und forderten Meinungsfreiheit, Demokratie, soziale Reformen. Die Vertreter dieser politisch engagierten Literatur werden unter dem Begriff „Junges Deutschland“ oder „Vormärz“ zusammengefasst. Dieser Begriff betont die Veränderungen, die politisch und literarisch mit der in vielen europäischen Städten ausbrechenden Märzrevolution von 1848 erfolgen. „LASS O WELT, O LASS MICH SEIN“ Die Zentren der Kultur des Biedermeier liegen in Süddeutschland und vor allem in Österreich. Dafür gibt es mehrere Ursachen: Die Wirkung der Aufklärung war in Österreich nicht von langer Dauer. Die Nachfolger Josephs II. machten dessen Reformen – Beschränkung der Privilegien von Adel und Klerus, Ausbau der Bildungseinrichtungen – weitgehend rückgängig. Der „aufgeklärte“ Absolutismus verwandelte sich zurück zum autoritären Absolutismus. Im Gegensatz zu den deutschen Staaten konnten sich in Österreich auch die neuen industriellen Wirtschaftsformen nicht durchsetzen. Das Regime isolierte sich durch Schutzzölle, Reisebeschränkungen, weshalb auch fortschrittliche oder revolutionäre Ideen schwer eindringen konnten. FRANZ GRILLPARZER: „HOCH ÖSTERREICH!“ Als am 12.10.1955 das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Burgtheater feierlich wiedereröffnet wurde, geschah dies mit Grillparzers historischem Drama „König Ottokars Glück und Ende“, einem Lobpreis politischer Herrschaft, die sich auf Gesetze und nicht auf brutale Macht gründet. Rudolf, der erste Habsburgerkaiser des Deutschen Reiches, triumphiert über den Machtmenschen Ottokar von Böhmen. Dieses oft als „offizielles“ Österreich-Stück angesehene Drama, das mit einem „Heil! Heil! Hoch Österreich!“ endet, steht in der Mitte von Grillparzers Schaffen. Begonnen hatte Grillparzer mit dem Drama „Die Ahnfrau“, einer Schillers „Räubern“ nachempfundenen Schauertragödie mit Vatermord und Schwesternselbstmord, einem Riesenerfolg. Eine völlige Umkehr bedeutete Grillparzers Drama „Sappho“. Grillparzer hatte sich nach Griechenland gewendet. Die griechische Mythologie gab ihm auch die Inspiration für sein umfangreichstes Werk, die Trilogie „Das goldene Vließ“, – so Grillparzers Schreibung. Grillparzer teilte die Begeisterung der Klassik für die Antike. Die Hoffnung, das Humanitätsideal der Antike ließe sich in seine Epoche übertragen, die er als eine „flache Zeit“ ansah, hatte er aber nicht. Texte vergleichen, ihre Aussage erfassen und dominierende Stilmittel erkennen Welche inhaltlichen, typisch „biedermeierlichen“ Parallelen zeigen das Gedicht „Verborgenheit“ des schwäbischen Dichters Eduard Mörike und der Auszug aus dem Drama „Der Traum ein Leben“ des Österreichers Franz Grillparzer? Beschreiben Sie die Stimmung, in der sich jeweils das lyrische Ich befindet. Welchem der „klassischen“ vier Temperamente (sanguinisch …) würden Sie diese Stimmung zuordnen? Benennen Sie das beiden, in Originalsprache angeführten Texten gemeinsame dominante Stilmittel und bestimmen Sie Versmaß und Reimschema von „Verborgenheit“! a b 5.9 Eduard Mörike: Verborgenheit Laß, o Welt, o laß mich sein! Locket nicht mit Liebesgaben, Laßt dies Herz alleine haben Seine Wonne, seine Pein! Was ich traure weiß ich nicht, Es ist unbekanntes Wehe; Immerdar durch Tränen sehe Ich der Sonne liebes Licht. Franz Grillparzer Schatten sind des Lebens Güter, Schatten seiner Freuden Schar, Schatten Worte, Wünsche, Taten; Die Gedanken nur sind wahr. Eines nur ist Glück hienieden, Eins, des Innern stiller Frieden Und die schuldbefreite Brust. Und die Größe ist gefährlich, Und der Ruhm ein leeres Spiel. Was er gibt, sind nichtge Schatten, Was er nimmt, es ist so viel. Oft bin ich mir kaum bewußt, Und die helle Freude zücket Durch die Schwere, so mich drücket Wonniglich in meiner Brust. Laß, o Welt, o laß mich sein! Locket nicht mit Liebesgaben, Laßt dies Herz alleine haben Seine Wonne, seine Pein! 2 4 2 4 6 8 10 6 8 14 16 10 12 Nur zu Prüfzw cken – Eigentum des Verlags öbv

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