Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPrACHrAuM 4  Schriftlich argumentieren 56 Schriftliche Kompetenz THEMA 3: WIR UND DIE DRITTE WELT Impulse Bei uns ist absolut kein Platz mehr dafür und für euch ist sicher noch allerhand Brauchbares dabei. Bei uns ist absolut kein Platz mehr dafür und für euch ist sicher noch allerhand Brauchbares dabei. Schreibauftrag Kommentieren Sie ausgehend von einer Beschreibung der beiden Karikaturen das Verhältnis der westlichen zur so genannten Dritten Welt (zwischen 270 und 330 Wörter). THEMA 4: ZIVILCOURAGE Impulse Anneliese Rohrer: Ende des Gehorsams Wer mit jungen Menschen diskutieren will, merkt aber sofort: Die meisten von ihnen wurden und werden in einem Bildungssystem sozialisiert, in dem Kritik, Hin- terfragen, Skepsis, Infragestellen nur in seltenen Fällen – entweder durch die „Unternehmenskultur“ einer be- stimmten Schule oder durch die Aufgeschlossenheit individueller Pädagogen – erwünscht und gefördert werden. Lob und Ermunterung für unruhige Verhal- tensweisen sind selten. Angepasstheit und Schweigen sind der weitaus höhere soziale Wert. Wenn sie dann in die reale Welt „entlassen“ werden, betreten sie diese ohne das entsprechende Handwerkzeug, ohne Übung und ohne Technik im kritischen Diskurs. Eine eigene Meinung mit Argumenten abzusichern, erfordert Trai- ning, Zuspruch und die Aufforderung zu Mut. In die- sem Zusammenhang lässt sich, etwas zweckentfremdet zwar, behaupten, dass die Mehrheit der Österreicher mit besonderer Leidenschaft und bereitwilliger als an- derswo an der sogenannten „Schweigespirale“ dreht. Der Begriff wurde von der Sozialwissenschaftlerin Eli- sabeth Noelle-Neumann in den 70er-Jahren geprägt und besagt, dass die Bereitschaft vieler Menschen, sich öffentlich zu ihrer Meinung zu bekennen, meist von der vermeintlichen Meinung der Mehrheit der Bevöl- kerung abhängt. Für Noelle-Neumann war diese Er- kenntnis vor allem im Hinblick auf die Erforschung der Wirkung der Massenmedien wichtig. In Österreich kann man sie aber auch, völlig abgelöst davon, zur Er- klärung bestimmter Verhaltensmerkmale der Gesell- schaft heranziehen. […] In Österreich herrscht eine Art nationaler Konsens darüber, dass Gehorsam im Allgemeinen und voraus- eilender Gehorsam im Speziellen zu den hervorste- chenden Merkmalen der Gesellschaft gehören. Wenn dem so ist, lebt die Mehrheit der Österreicher in zwei Welten. Denn das Wort Gehorsam kommt von Gehör, von hören oder hinhören. Davon kann aber in Zeiten steigender Politik-Apathie und Politikerverdrossen- heit wohl nicht gesprochen werden. Das auf der poli- tischen Bühne Gesagte wird immer weniger wahrge- nommen, erregt immer weniger Interesse, wird also immer weniger gehört und/oder verarbeitet. Gleich- zeitig ist aber das Ende des Gehorsams, der Unterord- nung unter tatsächliche und vermeintliche Autoritäten über das gesetzlich erforderliche Maß hinaus, nicht in Sicht. Vorauseilender Gehorsam im österreichischen Kon- text meint die freiwillige, noch gar nicht eingeforderte Erfüllung angenommener, vermuteter, erahnter Wün- sche. Das heißt, dieser Gehorsam kommt nicht auf Druck zustande, sondern wird genau deshalb geleistet, um erwarteten, vermeintlichen Druck zu vermeiden. Auslöser dieser Verhaltensweise sind einerseits ver- wirrende Emotionen, andererseits unbestimmte Ängste vor nicht vorhersehbaren Konsequenzen bei nicht Befolgung von (noch gar nicht erteilten) Anord- nungen, was letztlich wieder auf ein ungenügendes Selbstwertgefühl hinausläuft, die Wurzel aller Unter- würfigkeit. Aus vorauseilendem Gehorsam kann derjenige, der ihn akzeptiert, dreifachen emotionalen Nutzen ziehen, weshalb er oft nicht als negativ empfunden wird: Zum einen wird die diffuse Angst vor Konsequenzen aufge- löst, weil man diese von vornherein vermeidet. Zum anderen kann die Illusion, freiwillig zu handeln, und 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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