Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

181 Kompetenztest 14 Hauptkompetenz und Teilkompetenz Sprachreflexion: Eigenheiten von Varietäten des Deutschen erkennen; Textinhalte erfassen Weitere geforderte Kompetenzen Textkompetenz Methodisch-didaktische Hinweise Einzel- oder Partnerarbeit Hilfsmittel Wörterbuch Zeitbedarf 20 Minuten Veronika Schmidt: Sprachvarietäten: Kafffffe oder Kaffeeeh Ein Österreicher, der in Deutschland einen „Kaf- fee“ bestellt und dann ein wässriges Gesöff mit viel Milch bekommt, wird sich wundern. Denn ihm wird spätestens dann klar, dass die Deutschen das Wort „Kaffee“ nicht einfach anders betonen – näm- lich auf der ersten Silbe und mit kurzen Vokalen –, sondern dass die beidenWörter eigentlich zwei völ- lig verschiedene Dinge bezeichnen. Ein deutscher „Kaffffe“ ist eben ein wässriges Gesöff mit viel Milch, und ein österreichischer „Kaffeeeh“ ist jenes hervorragende Heißgetränk, das man hierzulande gewöhnt ist. An diesem Beispiel sieht man, dass eine einheitliche Schreibweise bei Weitem keine einheitliche Aussprache bedingt. Und dass die Aus- sprache in den verschiedenen Ländern eng mit ei- nem Identitätsgefühl verbunden ist: „Wir Österrei- cher sagen ,lustik‘ und nicht ,lustich‘“, wird einem Zuagrasten in diesemLand eindringlich erklärt.
„Es gibt drei heilige Kühe, die als Merkmal der öster- reichischen Aussprache gelten“, sagt Karoline Ehr- lich vom Institut für Germanistik der Uni Wien. Erstes Merkmal der Aussprache des österreichi- schen Deutsch ist es, dass die Endsilbe „-ig“ als -„ik“ und nicht als -„ich“ ausgesprochen wird: Kö- nig, beleidigt, gültig. Zweite „heilige Kuh“ ist das „stimmlose S“. Meist lernen Österreicher erst beim Erlernen einer Fremdsprache, in der ein scharfer S-Laut und ein samtig weicher „stimmhafter“ S-Laut wichtig sind, den Unterschied. In Deutsch- land scheint beispielsweise im Wetterbericht im- mer die stimmhaft gesprochene „Sonne“ (mit wei- chem S, bei dem es zwischen Zahn und Zungen- spitze vibriert) und in Österreich öfters die stimm- los gesprochene „Sonne“ (mit scharfem S, bei dem es zwischen Zahn und Zunge höchstens zischt). Drittes Hauptmerkmal (es gibt noch viele mehr) ist, dass ein „anlautendes Ch“ als „k“ und nicht als „sch“ oder „ch“-Laut gesprochen wird: China und Chemie sind die bekanntesten Beispiele. Ehrlich wollte im Rahmen ihrer Dissertation eine Lücke schließen und damit etwas entwickeln, was dem Aussprache- Duden in Deutschland entspricht: Denn wenn die Merkmale der österreichischen Varietät nicht wis- senschaftlich erforscht werden (und sich alle am bundesdeutschen Duden orientieren), könnten sie womöglich aussterben. Dagegen versucht auch der ORF, dessen Sprecher im ganzen Land als Sprachvorbilder dienen, Zei- chen zu setzen, und forciert eine Aussprache nach österreichischen Standards. Chefsprecher Herbert Dobrovolny betont, dass höchster Wert darauf ge- legt wird, die österreichischen Merkmale in Beto- nung, Aussprache und Redewendungen zu pflegen. […] Dobrovolny selbst versendet regelmäßig Rundmails an die ORF-Kollegen, in denen die rich- tige Aussprache präzisiert wird – und zwar jene, die landesweit die höchste Akzeptanz hat.
„Was fehlt, ist eine kodifizierte Ausspracheregelung“, meint die Germanistin Ehrlich. […] Doch bei der Sprache muss man stets die „Schichtung“ beachten: Es gibt erstens die überdeckende Standardsprache über den ganzen Sprachraum. An diesen Standard hält man sich, wenn man im öffentlichen Bereich auf- tritt. 
Stilistisch findet sich darunter die Umgangs- sprache, die man im täglichen Gebrauch verwen- det. Und zuunterst, mit dem geringsten Grad der Öffentlichkeit, ist der Dialekt angesiedelt: „Mit dem wächst jeder auf. Man spricht Dialekt im inti- men Kreis mit Freunden und Familie.“ 
Doch die Definitionen sind nicht fix. Für den Grazer Germa- nisten Rudolf Muhr ist zum Beispiel das Wort „schiach“ österreichische Standardsprache, da we- der „hässlich“ noch „gemein“ genau das bedeuten, was es emotionell ausdrückt. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 KT 1 Lesen Sie den folgenden Text und beantworten Sie mündlich die angeschlossenen Fragen: Sprachreflexion Textkompetenz Mündliche Kompetenz Mit welchen Unterschieden zwischen österreichischem und deutschem Deutsch befasst sich der Text? Führen Sie dazu Details und Beispiele an. Beschreiben Sie die Absicht, welche die im Text zitierte Forschungsarbeit hat. Welchen Beitrag will der ORF zur Sicherung des österreichischen Deutsch leisten? Welche verschiedenen Schichten der Sprache verwenden wir je nach Gelegenheit? Welche Schwierigkeiten bestehen hinsichtlich der Definition dieser Sprachschichten? Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=