Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

179 Sprachreflexion GRAMMATISCHE UNTERSCHIEDE Die oben in kleiner Auswahl angeführten „lexikalischen“ und „phraseologischen“ Unterschiede zwischen österreich- ischem und deutschem Deutsch fallen viel eher auf als die grammatischen Unterschiede, die dennoch nicht gering sind. Grammatische Unterschiede beim Verb Perfekt statt Präteritum: Österreichisches Deutsch verwendet in der gesprochenen Sprache als Erzählform das Perfekt: „Ich bin schon früh heimgegangen.“ Das deutsche Deutsch, vor allem im Norden des deutschen Sprachgebietes, erzählt im Präteritum: „Ich ging schon früh nach Hause.“ „Würdevolle“ Formen für den Konjunktiv: Da die österreichische Umgangssprache auf das Präteritum großteils verzichtet, können wir auch die Formen des Konjunktivs II schwer bilden und bedienen uns dafür des Hilfsverbs „würde“. Denn wer das Präteritum selten verwendet, vermeidet natürlich auch dessen Konjunktivformen: Ich würde dort hingehen“ statt „Ich ginge dort hin“, „Das würde teuer kommen“ statt „Das käme teuer“. Das doppelte Perfekt: Charakteristisch für das mündliche österreichische Deutsch, vor allem im Osten Österreichs, ist auch das „doppelte Perfekt“: „Ich håb aufsperren wollen und då håb i gmerkt, dass i den Schlüssel vergessen ghåbt håb. Plötzlich ist meine Freundin vor mir gstånden. Ich håb sie nicht bemerkt ghåbt, anscheinend bin ich eingschlåfen gwesen. Sie hat natürlich mit mir gschimpft. Aber darån hab i mi schon gwöhnt ghåbt.“ Markante Unterschiede beim Nomen Eine Eigenheit des österreichischen Deutsch besteht auch darin, Eigennamen mit Artikel zu gebrauchen: „Der Sepp ist da. Die Knapps sind auf Urlaub.“ Typisch österreichisch sind auch Nominalbildungen mit -er: „ein Einser, der Zwölfer …“, während das deutsche Deutsch „die Eins, die Zwölf …“ verwendet. Die Nachsilbe -er dient auch zur Bildung von Nomen aus Verben: „Raunzer, Streberer …“. Das österreichische Deutsch verfügt auch über eigene Verkleinerungsformen: „Brettl, Krügerl, Backhendl, …“. Unterschiede gibt es auch in der Pluralbildung und im Genus der Nomen, wie zum Beispiel das Brösel, die Kumpeln (ÖD) – der Brösel, die Kumpels (DD). Der Gebrauch der Präpositionen Vielfältig sind auch die Unterschiede beim Gebrauch von Präpositionen. Die folgenden Sätze stehen zuerst im österreichischen, dann im deutschen Deutsch: Die Arbeit ist bis morgen fertig – Die Arbeit ist morgen fertig. // Sie schaut beim Fenster hinaus. – Sie schaut zum Fenster hinaus. // Setz dich zum Tisch. – Setz dich an den Tisch. spiel, Häuslkick oder einer g’mahten Wiesen, gab es Steirertore, Bloßfüßige und geschobene Partien. Heute sind diese sprachlichen Nuancen fast ver- schwunden, raucht niemand mehr mit einer Fetten an, macht einen Bananenschuss, eine Kerze oder gar einen Jud, so nannte man im Wienerischen ei- nen Spitz. Ob dieser Ausdruck antisemitischen Ur- sprungs ist, weiß ich nicht, vermute es aber. Einzig der Stanglpass […] wird nach wie vor verwendet. Heute gibt es eine Viererkette statt dem Libero, eine VIP-Tribüne statt den Ehrenrängen und eine Coa- ching-Zone. […] Aus der Sprache ist alles Derbe, aber auch alles Poetische eliminiert, sind doch Re- dewendungen wie „Der überspielt nicht einmal ei- nen Hydranten“ ganz wunderbar. Ob diese sprach- liche Planierung dem Fußball gut tut? Heute spricht man von freien Räumen, Doppelpässen, einnetzen und ausdribbeln, von Spaßfußball und Einsatzfreu- de. […] Vielleicht sollten wir mehr Pfitschigogerln? 16 18 20 22 24 26 28 30 32 Das Deutsche ist eine plurizentrische Sprache mit verschiedenen nationalen Ausprägungen, wie dem österreichischen Deutsch , dem deutschen und dem schweizerischen Deutsch . Das österreichische Deutsch ist nicht bloß ein „Dialekt“ des Deutschen, sondern hat eine Reihe von Merkmalen, die es als Standardsprache deutlich vom „Bundesdeutschen“, aber auch vom „Schweizerdeutschen“ unterscheiden. Unterschiede zeigen sich zum Beispiel im Vokabular (Aufzug # Fahrstuhl), in Redewendungen (eine Brezen reißen), aber auch in grammatischen Eigenheiten, wie dem Tempusgebrauch oder der Konjunktivbildung des Verbs (typisch österreichische Umschreibung des Konjunktivs II mit „würde“). Auch Pluralbildung oder Genus beim Nomen differieren: (das Cola # die Cola). Unterschiede gibt es auch bei der Verwendung von Präpositionen (in die Schule gehen # zur Schule gehen). N r zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=