Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

167 Sprachreflexion Textkompetenz Die Bedeutung sozialer Beziehungen für den Spracherwerb erkennen Analysieren sie die Gemeinsamkeiten der oben angeführten Fälle und erklären Sie, welche Voraussetzungen für den Spracherwerb gegeben sein müssen! Die unterschiedlichen Formen von Kommunikation analysieren Menschliche Verständigung kann sich natürlich auch auf anderen als nur sprachlichen Kommunikationskanälen vollziehen: akustisch, visuell, taktil, olfaktorisch. Klären Sie diese Begriffe und bewerten Sie die Vor- und Nachteile dieser Kommunikationsmöglichkeiten. 13.5 13.6 Seine Idee war, dass er ein Experiment machen wollte, um zu erforschen, welche Art Sprache und Sprechwei- se Knaben nach ihrem Heranwachsen hätten, wenn sie vorher mit niemandem sprächen. Und deshalb befahl er den Ammen und Pflegerinnen, sie sollten den Kin- dern Milch geben, dass sie an den Brüsten saugen möchten, sie baden und waschen, aber in keiner Weise mit ihnen zu schwatzen oder sprechen. Er wollte näm- lich erforschen, ob sie die hebräische Sprache sprä- chen, als die älteste, oder Griechisch oder Latein oder Arabisch oder aber die Sprache ihrer Eltern. Aber er mühte sich vergebens, weil die Kinder alle starben. Denn sie vermochten nicht zu leben ohne das Händ- chenpatschen und die Koseworte ihrer Ammen und Nährerinnen. 2 4 6 8 10 12 14 Das völlige Anderssein von menschlicher Sprache zeigt sich aber insbesondere in der Fähigkeit, auch Vergangenes oder Zukünftiges auszudrücken. Während die Rufe der Tiere stets die Situation des Augenblicks wiedergeben, kann der Mensch auch über etwas sprechen, was nicht präsent ist. Manche Affenarten stoßen beim Anblick eines Leoparden einen nur für diese Situation geltenden Warnruf aus. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass ein Affe jemals sonst an Leoparden denkt und dies kundtut. Tiere denken stets „online“, Menschen können das auch „offline“. Sprachforscher vermuten, dass sich die Sprachfähigkeit des Menschen aufgrund des größeren menschlichen Gehirns entwickelt hat. Dadurch konnte er seine Gedanken länger im Bewusstsein behalten und sie grammatisch strukturieren. Doch diese genetische Basis reicht nicht aus, dass der Mensch zu einem sprechenden Menschen werden kann, wie die folgenden Fälle zeigen. EIN FRAGWÜRDIGES EXPERIMENT UND EIN MERKWÜRDIGER FUND Das Experiment Kaiser Friedrichs II. Der an den Wissenschaften sehr interessierte Stauferkaiser wollte sehen, welche Sprache die „ursprüngliche“ Sprache der Menschen sei. Über das von ihm angeordnete „Experiment“ informiert ein Chronist um 1235: Die Wolfskinder von Midnapur Berühmt ist auch das Beispiel der um 1925 entdeckten indischen Mädchen, die in einer Höhle unter Wölfen aufge- wachsen waren. Die beiden wurden bei ihrer Entdeckung auf eineinhalb beziehungsweise acht Jahre geschätzt. Die Jüngere, Amala, starb nach einem Jahr, die Ältere, Kamala, nach neun Jahren. Kamalas Wortschatz entwickelte sich nur langsam und rudimentär. Nach zwei Jahren artikulierte sie „bhu, bhu“ , wenn sie durstig war. Nach vier Jahren beherrschte sie sechs Wörter, nach sechs Jahren dreißig. Mit sieben bildete sie Kurzsätze wie „bak pu wo“ („Puppen im Kasten“). Weitere sprachliche Entwicklung war ihr verwehrt. Die Unterschiede zwischen menschlicher Sprache und tierischer Verständigung Auch Tiere können klarerweise miteinander kommunizieren. Ihre „Sprache“ ist jedoch eng begrenzt und kann nur ein bestimmtes Informationspaket weitergeben, das zwar variierbar, aber nicht erweiterbar ist, wie etwa die „Bienensprache“ zeigt. Menschliche Sprache hingegen kann eine unendliche Zahl von Sätzen und damit an Informationen bilden und weitergeben. Der Erwerb menschlicher Sprache kann aber nur dann gelingen, wenn außer den physischen Voraussetzungen auch frühe soziale Beziehungen und Zuwendungen auch in Form von Sprache vorhanden sind. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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