Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPrACHrAuM 13  Nachdenken über die Sprache 166 Sprachreflexion Textkompetenz Schriftliche Kompetenz „Sprechen“  Tiere (nicht)? DIE „SPRACHE“ DER BIENEN Selbstverständlich können Tiere und Pflanzen jeweils miteinander kommunizieren. Ein berühmtes Beispiel soll Ihnen dies zeigen: Der österreichische Zoologe und Nobelpreisträger Karl von Frisch hat in seinen Forschungen zur Bienen- sprache festgestellt, dass Bienen den anderen Bienen ihres Stockes mit „Schwänzeltänzen“ über Futterplätze berichten. Die Schnelligkeit des Tanzes verweist auf die Entfernung der Nahrungsquelle. Der Winkel, den die getanzte Strecke zur Senkrechten bildet, zeigt den Winkel an, den die Flugrichtung mit dem Stand der Sonne bildet. Intensität und Häufigkeit der Wiederholung des Tanzes geben die Ergiebigkeit der Futterquelle an. Länge, Intensität und Winkel können kontinuierlich variiert werden. Es scheint also, dass Bienen nicht nur Sachverhalte darstellen, sondern auch so etwas wie „neue Sätze“ bilden können, indem sie ihre Signale systematisch verändern. Dennoch bleibt ein prinzipieller Unterschied zur menschlichen Sprache: Die Bienen sind nur imstande, eine eingeschränkte Menge von Informationen zu geben, deren Bedeutung festgelegt ist: Ihr Informationstanz bezieht sich immer auf Entfernung, Richtung und Ergiebigkeit der Futterquelle. Die Bienen können zwar einzelne Kriterien ihres Zeichensystems variieren – etwa so wie der Mensch in dem Satz „Das ist aber sehr fein!“ die Intensität des „sehr“ verändern kann. Die menschliche Sprache erlaubt es jedoch, dass alle Sprecher, die einer bestimmten Sprachgemeinschaft angehören, in dieser Sprache eine unbegrenzte Zahl von neuen Sätzen hervorbringen und verstehen, die sie nie zuvor gehört haben und die vielleicht sogar noch nie von jemandem hervorgebracht worden sind. Diese Kreativität der Sprache ist das entscheidende Kriterium der verbalen menschlichen Kommunikation. Eine sehr begrenzte Anzahl von Lauten, die für sich gar nichts bedeuten, kann in Wörtern und Sätzen so kombiniert werden, dass sie zum Austausch unendlich vieler Gedanken und Informationen dienen. GÜNTER ANDERS: SCHRANKEN tierischer KOMMUNIKATION Das Spezifische der menschlichen Sprache erfassen Erstellen Sie ein Stichwortpapier, auf dem Sie aufgrund dieser Informationen die grundlegenden Differenzen zwischen tierischer und menschlicher Sprache festhalten. 13.3 Welch ein Segen das Sprechen ist, erkennen wir erst durch die sprachlosen Tiere. L.’s Hund kann, wohl von Afterjucken gepeinigt, nicht schlafen; jedenfalls ist er die ganze Nacht hindurch scheuernd um sich selbst ro- tiert, vielleicht um sich durch Scheuern Erleichterung zu verschaffen. Aber nur vielleicht. Mein Mitleiden muss gegenstandslos bleiben; nur dass er leidet, er- greift mich. Was ihn quält, bleibt in ihm begraben. Et- was zu zeigen, ist er genauso unfähig, wie mein Zeigen zu verstehen. Und ist ihm genauso verwehrt, wie etwas zu sagen. Also bleibt ihm nur zu jammern, und trotz seines unwiderstehlich flehenden Blicks kann er um nichts Bestimmtes bitten. Zu welch robinsonhaftem Dasein solche Kreaturen verurteilt sind! Und wie völ- lig unverdient unser Glück ist: die Tatsache, dass wir, ein einziges Mal zum Leben zugelassen, ausgerechnet als Menschen in die Welt haben eintreten dürfen, also als Wesen, die die Göttergabe mitbekommen haben zu sagen, was sie leiden. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Die Grenzen zwischen menschlicher und tierischer Sprache benennen Zeigen Sie anhand des Textes von Günter Anders, welche Kommunikationsinhalte vom Tier dem Menschen übermittelt werden können, welche nicht! Erläutern Sie, was Anders mit dem Ausdruck „robinsonhaftes Dasein“ meint. Erläutern Sie, in welchen Texten Tiere sehr wohl sprechen und sich über Artengrenzen hinweg und auch den Menschen mitteilen können. Führen Sie konkrete Textbeispiele dazu an! a b 13.4 Wie kommt der Mensch zur Sprache? IST DIE MENSCHLICHE SPRACHE EINE KONTINUIERLICHE WEITERENTWICKLUNG TIERISCHER KOMMUNIKATION? Unsere Sprache als Weiterentwicklung tierischer Kommunikationsformen: Die Schreie der Affen verwandeln sich – parallel zur Entwicklung der Intelligenz – in Wörter, die schrittweise miteinander kombiniert werden. Richtig? Leider nein! Sicher: Menschliche Sprache teilt sich mit tierischen Kommunikationssystemen den akustischen Kanal und in bestimmten Situationen verwenden wir immer noch spontan „tierhafte“ Laute wie Schreie, Pfiffe, Lachen. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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