Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

165 DIE EMOTIONALE FUNKTION Ihr Wörterbuch fällt bei der Englischhausübung das dritte Mal vom Tisch. Sie können sich ein leises Schimpfen nicht verkneifen: „Mist!“ Sie verwenden die Sprache, um Ihre Anspannung abzubauen. Diese Verwendung der Sprache ist oft unwillkürlich. Sie tritt auf, wenn wir emotional negativ berührt („Au!“, „Pfui!“) oder positiv bewegt sind („Ah, ist das super!“, „Mensch!“, „Wahnsinn!“). DIE „IDENTITÄTSFUNKTION“ Sie singen im Stadion Ihres Lieblingsvereins „You never walk alone“. Dieser Gesang dient weniger als Information an elf Kicker oder andere Zuschauer/innen, sondern zur Herstellung einer gemeinsamen Identität. Jugendliche etwa haben ihre Szenesprachen und finden Erwachsene, die sich dieser Sprachen bedienen wollen, äußerst „uncool“. Oft ist diese Funktion verbunden mit der Freude an der akustischen Dimension der Sprache. SPRACHE ALS UNTERSTÜTZUNG DES DENKENS Sie sitzen vor einer komplizierten Gleichung und murmeln vor sich hin: „Wenn ich jetzt das „x“ auf die rechte Seite schiebe und den Bruch kürze, dann …“. Nicht selten, wie hier, sprechen die Menschen ihre Gedanken laut aus oder bewegen zumindest ihre Lippen, um in schwierigen Situationen ihr Denken zu unterstützen. SPRACHE ALS „WISSENSSPEICHER“ Sie lernen im Geschichtebuch über die Entstehung der Demokratie im antiken Griechenland. Schülerinnen und Schüler holen Wissen aus Lehrbüchern, Juristen blättern in Gesetzeswerken, Notare in Grundbüchern, Sprachwissenschafter in Wörterbüchern, Mechaniker in Betriebsanleitungen. Diese schriftlich fixierte Sprache sichert das Wissen von Vergangenheit und Gegenwart. SPRACHE ALS „KONTROLLE“ ÜBER DIE REALITÄT Ihre Französisch-Schularbeit dürfte nicht besonders gut ausgegangen sein. Ein Stoßseufzer: „Bitte, bitte einen Vierer …!“ Die Schlusszeilen eines der ältesten Denkmäler der deutschen Sprache lauten: „ben zi bena, bluot zi bluoda, lid zi geliden, sose gelimida sin“ . Es handelt sich um den aus dem 10. Jahrhundert stammenden „Pferdesegen“. Aus dem Althochdeutschen übertragen, bedeuten diese Zeilen Folgendes: „Knochen zu Knochen, Blut zu Blut, Glied zu Glied, als ob sie geleimt seien.“ So sollte die Heilung verrenkter Pferdebeine unterstützt werden. Sprache wird dabei verwendet zur magischen Herbeirufung von übernatürlichen Kräften oder um Einfluss auf die Realität zu erlangen, positiv wie im Pferdesegen, negativ wie in rituellen Verfluchungen von Feinden. Reste dieser Funktion der Sprache sind unsere Stoßseufzer und Wunschformeln. Sprachreflexion Mündliche Kompetenz Funktionsweisen und Verwendungsbedingungen der Sprache erkennen Fassen Sie mündlich die obigen Informationen zu den verschiedenen Funktionen der Sprache zusammen. Beschreiben Sie, welche Sprachfunktionen sich in folgenden Äußerungen und Texten zeigen; beachten Sie, dass die Zuordnung nicht immer eindeutig sein muss: Heiliger Antonius, hilf, wo ist mein Schlüssel?! Amen! Immer wieder, immer wieder, immer wieder Österreich! Heiß heute, nicht? Verflixter Nagel! Ich muss jetzt gehen, sonst komme ich nicht mehr ins Haus. Meine Güte! Wie schaust du denn heute aus? Die Englischstunde muss morgen entfallen. Mein Gott, wie geht das? Da muss ich immer aufpassen, vor entgegenstellenden Bindewörtern steht ein Beistrich. a b 13.2 Sprache wird in vielfältigen Funktionen verwendet: ƒƒ referentiell , um Informationen auszutauschen, über sich zu berichten oder zu Handlungen aufzufordern ƒƒ sozial , um Gemeinschaft herzustellen ƒƒ emotional , um positive Momente zu artikulieren oder (negative) Spannungen abzubauen ƒƒ in der Identitätsfunktion , um sich von anderen abzugrenzen und auszuzeichnen ƒƒ als Denkhilfe , um die Konzentration bei schwierigen Gedankengängen zu unterstützen ƒƒ als (schriftlicher) Speicher für Wissen , Erkenntnisse und Erfahrungen ƒƒ als „ Kontrolle “ über die Realität in Wunschformeln, Verwünschungen, Stoßseufzern Nur z Prüfzwecken – Eigentum es Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=