Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPrACHrAuM 12  Literatur von Franz Kafka bis zur Gegenwart 156 Textkompetenz Mündliche Kompetenz Literarische Bildung Thomas Bernhard: Alte Meister. Komödie (1985) „Thomas Bernhard ist ohne Österreich nicht zu denken“ , so beginnt die Literaturkritikerin Sigrid Löffler ihre Auseinandersetzung mit dem Werk des Autors. Alle seiner mehr als zwanzig epischen Werke spielen in Österreich, angefangen vom ersten Roman „Frost“ über die autobiographischen Kindheits- und Jugenderinnerungen „Die Ursache“, „Der Keller“, „Der Atem“, „Die Kälte“, „Ein Kind“ über „Alte Meister“ bis zu „Auslöschung“. In Österreich agieren seine Personen. Sie sind keine strahlenden Helden. Ihr Außenseitertum hat sie oft zu maßlosen Exzentrikern gemacht, sie sind ungerecht und pauschal in ihren Angriffen und Urteilen. Ein solches Werk kann schnell als gnadenlose Österreichbeschimpfung aufgenommen werden. Doch hinter der Übertreibung, die Bernhard als notwendig für die Wirkung von Literatur ansieht, kann man, wie der österreichische Philosoph Friedrich Heer meint, sogar den „österreichischen Patrioten“ in Bernhard erkennen. In „Alte Meister“ machen der Philosoph Reger und der Gelehrte Atzbacher ihre Beobachtungen im Wiener Kunsthistorischen Museum: Österreicher, insbesondere Wiener, gehen nur wenige ins Kunsthistorische Museum, wenn ich von den Tau- senden von Schulklassen absehe, die jedes Jahr ihren Pflichtbesuch im Kunsthistorischen Museum absolvie- ren. Die Schulklassen werden von ihren Lehrern oder Lehrerinnen durch das Museum geführt, was auf die Schüler eine verheerende Wirkung ausübt, denn die Lehrer würgen bei diesen Besuchen im Kunsthistori- schen Museum jede Empfindsamkeit in diesen Schü- lern der Malerei und ihren Schöpfern gegenüber mit ihrer schulmeisterlichen Beschränktheit ab. Stumpf- sinnig, wie sie im allgemeinen sind, töten sie in den ihnen anvertrauten Schülern sehr bald jedes Gefühl nicht nur für die Malkunst, und der von ihnen ange- führte Museumsbesuch ihrer sozusagen unschuldigen Opfer wird durch ihre Stumpfsinnigkeit und dadurch stumpfsinnige Geschwätzigkeit meistens zum letzten Museumsbesuch jedes einzelnen Schülers. Einmal mit ihren Lehrern in das Kunsthistorische Museum hin- eingegangen, gehen diese Schüler dann ihr ganzes Le- ben nicht mehr hinein. Der erste Besuch aller dieser jungen Menschen ist zugleich ihr letzter. Die Lehrer vernichten bei diesen Besuchen das Kunstinteresse der ihnen anvertrauten Schüler für immer, das ist eine Tat- sache. Die Lehrer verderben die Schüler, das ist die Wahrheit, das ist eine jahrhundertealte Tatsache, und die österreichischen Lehrer insbesondere verderben in den Schülern vor allem von Anfang an den Kunstge- schmack; alle jungen Menschen sind ja zuerst aufge- schlossen allem gegenüber, also auch der Kunst, aber die Lehrer treiben ihnen die Kunst gründlich aus; die in der Überzahl stumpfsinnigen Köpfe der österreichi- schen Lehrer gehen auch heute immer rücksichtslos vor gegen die Sehnsucht ihrer Schüler nach Kunst und überhaupt nach dem Künstlerischen, von welchem alle jungen Menschen von Anfang an auf die natür- lichste Weise fasziniert und begeistert sind. […] Die Lehrer verderben schon in der Volksschule den Kunst- geschmack der Schüler, sie treiben ihren Schülern von Anfang an die Kunst aus, anstatt ihnen die Kunst und insbesondere die Musik aufzuklären und zu einer Le- bensfreude zu machen. […] Auch ich habe diese Leh- rer mit ihrem perversen Flötenspiel und mit ihrem perversen Gitarrengezupfe gehabt, die mich gezwun- gen haben, ein stupides sechzehnstrophiges Schiller- gedicht auswendig zu lernen, was ich immer als eine der fürchterlichsten Bestrafungen empfunden habe. 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 Texte in inhaltlicher und sprachlicher Hinsicht analysieren und dazu Stellung nehmen Benennen Sie das Thema des Textes und dessen „Hauptakteure“. Bestimmen Sie die Textstellen, welche Bernhards „Übertreibungskunst“ zeigen und untersuchen Sie das dominierende Stilmittel des Textes. Erläutern Sie, worauf der Untertitel des Romans hindeutet. Bewerten Sie in der Gruppe, ob die „Beobachtungen“ und Kritikpunkte begründet sind. 12.11 ‚FRAUENLITERATUR’: LITERATUR VON FRAUEN FÜR FRAUEN UND MÄNNER Er ist nicht unumstritten, der Begriff ‚Frauenliteratur’. Manche Autorinnen lehnen den Begriff ab mit dem Hinweis, dass kaum jemand auf die Idee käme, von einer ‚Männerliteratur’ zu sprechen. Für sie gibt es eine von Männern geschriebene Literatur und eine von Frauen geschriebene. Beide sind so vielfältig, dass man sie nicht mit einer simplifizierenden Etikette bekleben dürfe. Die Befürworterinnen betonen, dass der Begriff auf die lange Ausgrenzung der Frauen aus der Literaturgeschichte hinweisen soll. Der Begriff müsse solange verwendet werden, bis es nicht mehr nötig ist, von ‚Frauenliteratur’ zu sprechen, wenn also nicht nur das Schreiben von Frauen, sondern auch die darin thematisierten Anliegen als akzeptiert gelten können. Kennzeichen vieler dieser Texte ist, dass sie in der persönlichen Erfahrung und Betroffenheit der Autorinnen wurzeln. Die Themen sind vielfältig: die Suche nach weiblicher Selbstbestimmung, die Darstellung der weiblichen Sexualität, die Kritik an den Erziehungsinstitutionen wie Schule und Familie oder die Benachteiligung von Frauen in der Arbeitswelt. Deshalb ist die von Frauen verfasste Literatur häufig geprägt von autobiographischen Elementen, von Aufklärung oder Abwehr. Sie richtet sich gerade deshalb nicht nur an die Frauen, sondern gerade auch kritisch an die Männer. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Ver ags öbv

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