Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPrACHrAuM 12  Literatur von Franz Kafka bis zur Gegenwart 150 Textkompetenz Mündliche Kompetenz Literarische Bildung Die historischen Bezüge eines Textes erkennen, dessen formale Eigenheiten begründen Erläutern Sie, was mit den „finsteren Zeiten“ gemeint ist, weshalb das „Gespräch über Bäume“ „fast ein Verbrechen“ sein und das lyrische Ich nicht „weise“ sein kann. Begründen Sie Brechts Verzicht auf geregeltes Versmaß und Reim. 12.2 AUFRÜTTELNDES AUF DER BÜHNE: ÖDÖN VON HORVÁTH Die Personen in den Stücken Ödön von Horváths (1901−1938) sind alle aus der Bahn geworfen, von Krieg, Arbeitslosigkeit und Weltwirtschaftskrise geprägt. Vor allem ihre Sprache entlarvt ihr falsches Bewusstsein und ihre falschen Gefühle. Sie sind unfähig, sich selbst zu durchschauen. „Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit“ , lautet das Motto von „Geschichten aus dem Wiener Wald. Volkstück in sieben Bildern“, Horváths meistgespieltem Drama (1931). Hinter dem gemütlichen Titel des in einer Wiener Vorstadtgasse, im Wienerwald und in der Wachau spielenden Stückes verbergen sich Kindestötung, Brutalität und Männerherrschaft. Seelisch und körperlich ausgebeutet wird in diesem Drama das naive Mädchen Marianne, das ihrer vom Vater angeordneten Verlobung mit dem Fleischer Oskar davonläuft, sich in den „Strizzi“ Alfred verliebt, ein Kind bekommt, das von Alfreds Großmutter im Kinderwagen in den Wind gestellt wird und an einer Lungenentzündung stirbt, die zur Nackttänzerin und Diebin herabsinkt und der am Schluss nur die Resignation bleibt, ihr Leben niemals selbst gestalten zu können: „Ich hab mal Gott gefragt, was er mit mir vorhat. – Er hat es mir aber nicht gesagt, sonst wär ich nämlich nicht mehr da. – Er hat mir überhaupt nichts gesagt. – Er hat mich überraschen wollen. – Pfui!“ Horváths animalische Figuren Eine typisch „grausige“ Figur aus „Geschichten aus dem Wiener Wald“ ist der Fleischhauergeselle Havlitschek. Hier zwei Textproben in Originalschreibung: [ Havlitschek im Gespräch mit seinem Chef Oskar ] OSKAR tritt aus seiner Fleischhauerei: Daß du es nur ja nicht vergisst: wir müssen heut noch die Sau abstechen – Stichs du, ich hab heut keinen Spaß daran. HAVLITSCHEK Darf ich einmal ein offenes Wörterl reden, Herr Oskar? OSKAR Dreht sichs um die Sau? HAVLITSCHEK Es dreht sich schon um eine Sau, aber nicht um dieselbe Sau – Herr Oskar, bittschön nehmens Ihnen das nicht so zu Herzen, das mit Ihrer gewesenen Fräulein Braut, schauns, Weiber gibts wie Mist! Ein jeder Krüppel findt ein Weib und sogar die Geschlechtskranken auch! Und die Weiber sehen sich ja in den entscheidenden Punkten alle ähnlich, glaubens mir, ich meine es ehrlich mit Ihnen! Die Weiber haben keine Seele, das ist nur äußerliches Fleisch! Und man soll so ein Weib auch nicht schonend behandeln, das ist ein Versäumnis, sondern man soll ihr nur gleich das Maul zerreißen oder so! [ Ein Mädchen findet, dass Havlitscheks Wurst schon besser geschmeckt habe ] „Sagt das dumme Luder nicht, dass meine Blutwurst nachgelassen hat. – Meiner Seel, am liebsten tät ich so was abstechen, und wenn es dann auch mit dem Messer in der Gurgel herumrennen müßt, wie die gestrige Sau, dann tät mich das nur freuen!“ Die Sprache von Dramenfiguren analysieren Beschreiben Sie Havlitscheks unterschiedlichen Sprachgebrauch, wenn er mit seinem Chef redet, über Marianne, die („davongelaufene“) Braut des Chefs, spricht, sich über die Frauen „im Allgemeinen“ und über das „wurstkritische“ Mädchen auslässt. Analysieren Sie das Verhalten Havlitscheks gegenüber seiner Mit- und Umwelt. 12.3 DIE GEFÄHRLICHKEIT DER„MASSEN“ ERGRÜNDEN: ELIAS CANETTI Die Macht der Massen ist ein zentrales Thema im Werk von Elias Canetti (1905−94). Einen ersten Eindruck von der Gewalt der Masse hatte Canetti, als er 1914 in Wien die Begeisterung über den Ausbruch des Krieges miterlebte. 1924 begann Canetti sein Studium an der Universität Wien, wo ihn Karl Kraus tief beeindruckte, den er im zweiten Band seiner Autobiographie, „Die Fackel im Ohr“, porträtiert. In Wien fasste Canetti die ersten Gedanken, ein Werk über die Masse zu schreiben. Ein weiteres bestimmendes Erlebnis in diese Richtung war für Canetti der 15. Juli 1927, als während einer Demonstration der Wiener Justizpalast in Brand gesteckt wurde. Canetti, Teilnehmer an der Demonstration, erinnert sich: „Ich wurde zu einem Teil der Masse, ich ging vollkommen in ihr auf, ich spürte nicht den leisesten Widerstand gegen das, was sie unternahm.“ Nur zu Prüfzwecken – Eige tum des Verlags öbv

RkJQdWJsaXNoZXIy ODE3MDE=