Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

133 vergleichen Sie die Stellungnahme Sarközis mit der Ansicht von Erich Hackl. In welchem Zusammenhang würde Sarközi die Bezeichnung „Zigeuner“ tolerieren? Fassen Sie die historisch-politischen Ereignisse zusammen, die Sarközi sowohl in Bezug auf sich und seine Familie als auch für die (burgenländischen) Roma im Allgemeinen erläutert. Wie versucht Sarközis Organisation die soziale Lage der Roma zu verbessern? Sarközi fordert von den Roma „Selbstbewusstsein“. Was sieht er als voraussetzungen dafür? Setzen Sie die Erfahrung der rumäniendeutschen Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller zu den Aussagen von Erich Hackl einerseits und Rudolf Sarközi andererseits in Beziehung: „Ich bin mit dem Wort ,Roma‘ nach Rumänien gefahren und bin damit überall auf Unverständnis gestoßen. ,Das Wort ist scheinheilig‘, hat man mir gesagt, ,wir sind Zigeuner, und das Wort ist gut, wenn man uns gut behandelt.‘“ geuneraufstrich“ kann man nicht mehr herumdoktern. Das nehme ich zur Kenntnis. Aber imUmgangmit Men- schen empfinde ich dieses Wort als Beleidigung, weil es uns herabsetzt. HelpStars: Seit wann kämpfen Sie gegen diese Bezeich- nung ihres Volkes? Sarközi: 1971 war der erste Roma-Weltkongress – zu die- ser Zeit war ich noch weit davon entfernt ein Aktivist zu sein – bei dem die Teilnehmer gefordert haben, dass „Zi- geuner“ nicht mehr verwendet wird. Ich bin sehr glück- lich darüber, dass der Begriff in der Öffentlichkeit heute nahezu verschwunden ist. Dazu hat auch ein Gespräch, das ichmit Kronen Zeitungs-Herausgeber Hans Dichand amDonauinselfest vor ein paar Jahren geführt habe, bei- getragen. Ich habe ihn darauf angesprochen, dass Roma in seiner Zeitung als „Zigeuner“ beschrieben werden. Seit diesem Gespräch war der Begriff aus der Zeitung verschwunden. HelpStars: Sind Sie persönlich verletzt, wenn jemand „Zigeuner“ zu Ihnen sagt? Sarközi: Am ärgerlichsten ist es, wenn Leute zu mir sa- gen: ‚Warumhast du was gegen dasWort? Ich habe schon Landsleute von dir getroffen, denen das nichts ausmacht‘. Die kennen offensichtlich ihre eigene Geschichte nicht! Auch die Nazis haben Roma als Zigeuner bezeichnet und alle nach ‚Zigeunerart Lebende‘ in Konzentrationslager gebracht. Nur Roma, die von ihren Mitmenschen auf- grund besonderer handwerklicher Fähigkeiten gebraucht wurden, überlebten. Beispielsweise waren im Burgen- land die besten Schmiede zu dieser Zeit Roma. Wir ha- ben nachgeforscht und Belege dafür gefunden, dass der Beruf manchen Roma in der Nazizeit das Leben gerettet hat. Damals hat man Dienste ja noch nicht bestellt wie heute, sondern sie wurden angeboten. HelpStars: Zwischen zehn und zwölf Millionen Roma sind über ganz Europa verstreut – wie funktioniert da die Überlieferung von Kultur? Sarközi: Früher haben Mönche, später die Wissenschaft- ler über unsere Bräuche und unser Kulturgut geschrie- ben. Vieles aus unserer Geschichte kann man auch über die Sprache nachvollziehen. Denn aus jedem Gastland sind auchWörter in der Sprache hängengeblieben. Unter den Roma wird das meiste mündlich weitergegeben. Das was ich heute über die Geschichte meiner mütterlichen Familie weiß, das habe ich von meiner Mutter gehört. Meine Großeltern habe ich nie gekannt, weil sie 1942 im Konzentrationslager Lodz in Polen ermordet wurden. Sie waren 62 Jahre alt. HelpStars: Was beschäftigt Sie momentan in Ihrer Ver- einsarbeit? Sarközi: Aktuell beschäftigt mich die Armut. Die Bettel- verbote haben mich und viele meiner Freunde verärgert. Wir müssen Arbeit schaffen um die Menschen vom Bet- teln abzuhalten und brauchen keine Gesetze gegen das Betteln. Dazu haben wir gemeinsam mit mehreren stei- rischen Gemeinden und der Landwirtschaftsschule Graz ein Projekt im Bereich der biologischen Landwirt- schaft gestartet. Roma bauen biologischen Knoblauch an und verdienen damit ihr Geld. Für den Knoblauch gibt es bereits fixe Abnehmer, und das schon vor der ersten Ernte! HelpStars: Tun Sie auch etwas speziell für jugendliche Roma? Sarközi: Ich habe außer meinen acht Volksschuljahren keine Schulbildung und appelliere daher besonders an junge Roma sich zu bilden so gut es geht. Dazu haben wir 1995 auch einen Roma-Bildungsfonds ins Leben ge- rufen mit dem wir junge Menschen während ihrer Aus- bildung finanziell unterstützen. Wir helfen mit dem Fonds aber auch Erwachsenen, die keinen Beruf erler- nen konnten. Ihnen helfen wir beispielsweise den LKW- Führerschein zu machen, um bessere Jobaussichten zu haben. Mein Führerschein hat mir damals meine beruf- liche Zukunft gesichert. Er war für mich der Gesellen- brief. […] HelpStars: Fühlen Sie sich 100-prozentig als Österrei- cher? Sarközi: Ich bin Österreicher und zufällig auch Angehö- riger der Volksgruppe der Roma. Ich halte mich hier an den Ausspruch der jüdischen Gemeinde: Es ist keine Auszeichnung ein Rom zu sein, aber auch keine Schan- de. Nur mit diesem Selbstbewusstsein kommt man vor- an. Wenn man das nicht hat, ist man nur damit beschäf- tigt nicht aufzufallen. Selbstbewusstsein kommt aller- dings erst, wenn man den Anschluss an die Gesellschaft gefunden hat. 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46 48 50 52 54 56 58 60 62 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 84 86 88 90 92 94 96 98 100 N r zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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