Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

129 Im zuge seiner recherchen zu seinem Drama reiste Hauptmann, begleitet von einem zeitungsredakteur, 1891 ins Gebiet der schlesischen weber und fand Aufnahme in deren Häusern und Hütten. Lesen Sie den folgenden zeitungsauschnitt und analysieren Sie, welche Informationen der redakteur gibt, die in der Dramenszene nicht erscheinen, und umgekehrt. Erklären Sie, ob die Dramenszene oder der Bericht größere „wirkung“ auf Sie haben. S 3 Hauptmann fand Platz auf einem Fußbänkchen. Im Laufe des Gesprächs strich die alte Frau mit der Hand sanft über sein Haar: Ja, ja, junger Herr, die Not, aber wir daher sind noch gut dran. Beim Ab- schied wies sie uns eine Hütte, mit der Bemerkung, sie glaube, deren Bewohner seien am Verhungern. Es war nicht übertrieben. Als wir eintraten, stand in dem öden, schmutzigen Grau der Stube eine Frau inmitten einer weinenden Kinderschar. Zwei, drei schon erwachsene Mädchen, mager, bleich, wisch- ten sich verstohlen die Spuren soeben vergossener Tränen von den Leidensgesichtern. Hier regierte der Hunger unumschränkt. Die Frau, im letzten Stadium der Schwangerschaft, litt am meisten un- ter dem kläglichen Weinen der kleineren Kinder, denen sie nichts zu essen geben konnte. Der Mann war seit zwei Tagen fort, auf Bettelei aus. Er würde ja etwas mitbringen, es sei nur so schwer, in dieser Gegend was zu bekommen. Man müsse weite Wege machen für ein Stück Brot. Gestern waren noch ein paar Kartoffeln aufzubringen, heute gar nichts. Sie wisse nicht mehr, was sie den Kindern geben oder sagen solle. Den Pfarrer habe sie bitten lassen, ihr aus dieser äußersten Not zu helfen. Nur ein paar Mäuler voll Essen. Er habe selbst nichts, lautete die Antwort. Den erwachsenen Mädchen zittern die fest aufeinander gepressten Lippen. Jeder Atemzug in dieser Familie ist Verzweiflung. Jetzt sind die Kleinen mit den blaugefrorenen Gesichtern und Frostbeulen beimAnblick der Fremden verstummt, im nächsten Augenblick werden sie wieder Essen fordern und mit dieser so natürlichen Forderung das Herz der Mutter zerreißen […]. Hier tut für den Augenblick ein Goldstück Wunder. Die Frau wagt es nicht zu glauben, dass sie wirklich eins in der Hand hält. Was hier fast als Rettung vor dem siche- ren Tode empfunden wird, mag zur selben Stunde tausendfach für die Zwecke der Eitelkeit, der Prahl- sucht aufgebracht werden. […] Größtes aller sozia- len Verbrechen, das die Stillung des Hungers von Kindern sklavisch vom Gelde abhängig sein lässt! 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 Textkompetenz Schriftliche Kompetenz Mediale Bildung S 4 recherchieren Sie über verlauf und Hintergründe des Aufstands der schlesischen weber im Jahr 1844 und über weitere Texte und Bilder zur Thematik des weberelends und berichten Sie darüber in der Klasse. Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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