Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

Sprachraum 9  Dichten vom Realismus bis zum Expressionismus 124 Kompetenztest 9 Hauptkompetenz und Teilkompetenz Literarische Bildung: Texte interpretierend vergleichen und schriftlich mit einer bestimmten Textsorte reagieren Weitere geforderte Kompetenzen Textkompetenz, Schriftliche Kompetenz Zeitbedarf 50 Minuten KT 1 Literarische Texte interpretieren und vergleichen Verfassen Sie eine Interpretation (540 bis 660 Wörter) der folgenden drei Herbstgedichte, indem Sie deren Inhalt darstellen, ihre formalen Parallelen und Unterschiede benennen, ihre Metaphern und Bilder deuten und die Texte in Beziehung setzen zu den Merkmalen von Fin de Siècle und Expressionismus. Anmerkungen: „Herbsttag“ wurde 1902 verfasst, die „Hörner des Sommers“ 1911. „Grodek“ wurde 1914 geschrieben. Grodek ist ein Ort in Ostgalizien (heutige Ukraine) und war im Ersten Weltkrieg Kriegsschauplatz zwischen russischen und österreichischen Truppen. Trakl diente als Sanitätsgehilfe. Wenige Tage nach der Schlacht verübte Trakl Selbstmord. Textkompetenz Schriftliche Kompetenz Literarische Bildung Rainer Maria Rilke: Herbsttag HERR: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, und auf den Fluren laß die Winde los. Befiehl den letzten Früchten voll zu sein; gieb ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein. Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben. Georg Trakl: Grodek Am Abend tönen die herbstlichen Wälder Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen Und blauen Seen, darüber die Sonne Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht Sterbende Krieger, die wilde Klage Ihrer zerbrochenen Münder. Doch stille sammelt im Weidengrund Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt Das vergossne Blut sich, mondne Kühle; Alle Straßen münden in schwarze Verwesung. Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain, Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter; Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes. O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz, Die ungebornen Enkel. Georg Heym: Und die Hörner des Sommers verstummten … Und die Hörner des Sommers verstummten im Tode der Fluren, In das Dunkel flog Wolke auf Wolke dahin. Aber am Rande schrumpften die Wälder verloren, Wie Gefolge der Särge in Trauer vermummt. Laut sang der Sturm im Schrecken der bleichenden Felder, Er fuhr in die Pappeln und bog einen weißen Turm. Und wie der Kehricht des Windes lag in der Leere Drunten ein Dorf, aus grauen Dächern gehäuft. Aber hinaus bis unten am Grauen des Himmels Waren aus Korn des Herbstes Zelte gebaut, Unzählige Städte, doch leer und vergessen. Und niemand ging in den Gassen herum. Und es sank der Schatten der Nacht. Nur die Raben noch irrten Unter den drückenden Wolken im Regen hin, Einsam im Wind, wie im Dunkel der Schläfen Schwarze Gedanken in trostloser Stunde fliehn. 2 2 4 6 8 10 12 14 16 4 6 2 4 6 8 10 12 14 16 8 10 12 Nur zu Prüfzwecken – Eig ntum des Verlags öbv

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