Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPrACHrAuM 9  Dichten vom Realismus bis zum Expressionismus 120 Ein Gedicht inhaltlich erfassen und formale Eigenheiten erkennen Schlagen Sie nach, was eine Terzine ist. In welchen Strophen finden sich folgende Inhalte: Erinnerung an eine angenehme Zeit in Gegenwart einer geliebten Person; Schock durch das plötzliche Aufhören einer Situation, die eben noch war, nicht mehr ist und nie mehr so sein wird; Einsicht, dass Vergänglichkeit eine Grundbedingung des Lebens ist; Fremdheit gegenüber sich selbst und seinen früheren Lebensphasen. Bestimmen Sie den dominanten Vokal der ersten Strophe! Welchen Kontrast bildet dazu der Vokal des wiederholten „fort“? Die Intention eines Gedichts erfassen Bestimmen Sie, in welchen Versen Rilke vor dem schnellen, verallgemeinernden Sprachgebrauch warnt! Welche Verse geben ausdrücklich seine Sorge und Angst wieder? Wo warnt er vor verletzendem Sprachgebrauch, vor dem Verlust des Staunens vor manchen Dingen und vor der Grenzen verletzenden Überheblichkeit der Menschen? Was ist das Resultat dieses sorglosen Sprachgebrauchs? Was fällt am Satzbau der letzten Strophe auf, welche Stilmittel dominieren – siehe z. B. Vers 3, 8, 9,11. 9.5 9.6 Textkompetenz Literarische Bildung Rainer Maria Rilke Wer, so wie die Dichter des Fin de Siècle, sorgsam auf die Sprache achtet, der kann auch leichter ihre Schattenseiten spüren, ihre Ungenauigkeit, ihr Scheitern in der Kommunikation, die Missverständnisse, die sie hervorrufen kann, die Verführung, die in ihr steckt, den Missbrauch, den man mit ihr treiben kann. Diese „Sprachskepsis“ kann sogar soweit gehen, dass man der eigenen Sprache misstraut, und erst recht der Sprache der anderen. Das Misstrauen der eigenen Sprache gegenüber drückt Hofmannsthal in seinem „Brief an Lord Chandos“ aus. Rilke beschreibt das Misstrauen vor der Sprache der anderen, welche die Welt auf Allgemeinbegriffe reduziert und vereinfacht: da heißen Dinge „Hund“ und „Haus“. Aber Hund ist nicht gleich Hund ist nicht gleich Hund. Die Welt besteht aus Einzeldingen, aber dem trägt die Sprache nicht Rechnung: Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. Sie sprechen alles so deutlich aus: Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus, und hier ist Beginn und das Ende ist dort. Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott, sie wissen alles, was wird und war; kein Berg ist ihnen mehr wunderbar; ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott. Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern. Die Dinge singen hör ich so gern. Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm. Ihr bringt mir alle die Dinge um. 2 4 6 8 10 12 EIN WEITERER SKEPTIKER DER SPRACHE: KARL KRAUS Eine andere Sicht von der Literatur als Hofmannsthal und Rilke und ihrer „poésie pure“ hat der streitbare Satiriker Karl Kraus. Literatur ist für ihn keine Wiedergabe des ästhetisch Schönen, sondern Waffe der Kritik. Was er mit Rilke und Hofmannsthal teilt, ist allerdings seine Skepsis an der Sprache und die Warnung vor deren Missbrauch für Manipulation und Propaganda. In seinem Drama „Die letzten Tage der Menschheit“, das die mörderischen Geschehnisse des Ersten Weltkriegs zum Inhalt hat, und in seiner Zeitschrift „Die Fackel“ prangert er die manipulative Sprache der Presse und die unbedachte Sprache des Alltags an. Die Phrase „der Krieg ist ausgebrochen“ ist für Kraus die große Verschleierung der Verantwortlichkeit der Politik. Nur Vulkane z. B. „brechen aus“ . Wenn Leute darüber reden, dass der Krieg ein großer Spaß für sie werde, auf Österreichisch eine „Mordshetz“ , so sieht Kraus, wie unbewusst mit diesem Wort das Morden und Hetzen der Menschen ausgesprochen wird. Wenn die Propaganda verkündet, es „handle sich“ im Krieg um eine Aufgabe der Ehre und des Patriotismus, so verkürzt Kraus diese Phrase zu dem die Geschäfte mit dem Krieg entlarvenden Satz „Jawohl, es handelt sich in diesem Krieg!“ . Kraus ist ein Meister der Sprache. In Tausenden von Aphorismen komprimiert er seine satirischen Attacken: ‚Ach, das ist ja zum Schießen!‘, hörte ich einen Dreijährigen sagen. Schwarz auf weiß, so hat man jetzt die Lüge. Wie wird die Welt […] in den Krieg geführt? Diplomaten belügen Journalisten und glauben es, wenn sie‘ s lesen. 2 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum es Verlags öbv

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