Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPrACHrAuM 9  Dichten vom Realismus bis zum Expressionismus 116 Textkompetenz Literarische Bildung Verkehrsstraße geschaffen“ haben. Von „zweien solcher armen Menschen“ berichtet Saar. Die härteste und am schlechtesten bezahlte Arbeit am Bau machen die Steinklopfer. Sie zertrümmern Steine mit dem Hammer zu Schotter. Wer Steinklopfer wird, kann ein Mann bestimmen, der Aufseher. Auch Frauen müssen als Steinklopfer arbeiten. Der Aufseher bestimmt auch die Arbeitsleistung und kann Arbeiter auch deshalb entlassen: „Wenn du nicht täglich deine zwei Fuhren Schotter zuwege bringst, so jag ich dich fort!“ Einer der Steinklopfer ist Georg. Eine Steinklopferin ist auch Tertschka, die Stieftochter des Aufsehers, ihm als Frau doppelt ausgeliefert, sozial abhängig und sexuell bedrängt. Georg und Tertschka finden aneinander Halt, wollen die Steinklopferpartie verlassen. Der Aufseher erfährt davon, sperrt Tertschka in seiner Hütte ein. Georg will sie herausholen, die Tür zur Kammer aufbrechen. Der Aufseher bemerkt dies, stürzt sich „mit hoch geschwungenem Messer auf Georg. Dieser aber hatte den Hammer erfasst und schwang ihn gegen den Angreifer. Ein dumpfer Schlag erdröhnte; der Aufseher, vor die Brust getroffen, wankte – und taumelte, während sich ein Schwall dunklen Blutes aus seinem Munde ergoss, röchelnd zu Boden.“ Das Gericht erkennt auf Notwehr, deshalb das milde Urteil: ein Jahr schwerer Kerker. Der Richter ist zudem beeindruckt von der standhaften Liebe der beiden. Er selbst hat anderes erlebt: Liebe, so meint er, „wäre zwar in den Romanen hirnverbrannter Poeten, niemals aber im wirklichen Leben zu finden“ . Deshalb möchte er diese Ausnahmeliebe unterstützen. Er verschafft beiden im südsteirischen Ehrenhausen ein „einsames Bahnwärterhaus“ mit einem Feld, „mit Mais und Gemüse […], und vor der Tür […] blühen rötliche Malven und großhäuptige Sonnenblumen“ . Die Darstellung der Welt der Arbeiter, der „Proletarier“, ist im Realismus selten. Insofern ist Saars Novelle eine wichtige Ausnahme. Der idyllische Schluss wurde allerdings als „unglaubhaft“ oft kritisiert. Peter Rosegger Gleich „hinter“ dem Semmering liegt das steirische Mürztal. Dort wächst der Bauernbub Rosegger auf. Rosegger gibt kein idyllisierendes Bild vom Bauernleben. Er ist aber auch skeptisch gegenüber den Veränderungen durch die Industrialisierung und hellsichtig gegenüber neuen sozialen Ungerechtigkeiten. In seinen Werken, wie dem Roman „Jakob der Letzte“, schildert Rosegger das, was er selbst erlebt und sieht: die Umwandlung von Handwerksbetrieben in große Fabriken, das Abwandern der Bauern, die ihre Höfe verlassen (müssen) und sich in den Fabriken zu schlechten Löhnen verdingen. Gerade das Mürztal wurde für diese rasche Industrialisierung exemplarisch. Basis waren die Erzvorkommen am Steirischen Erzberg und Holz und Wasserkraft als Energiequellen. Der folgende Text aus dem Jahr 1907 bringt Roseggers Sicht der „neuen Arbeitswelt“ um 1900: Die Entseelung des Arbeiters Wer ein wenig in der Arbeiterfrage bewandert ist, weiß, dass mit der Entwicklung zum Industrialismus eine Erscheinung in die Welt der Arbeit eingezogen ist, die, von keinem gewollt und von keinem verschuldet, wie ein Verhängnis über die Menschheit hereingebrochen zu sein scheint und nun, als solle ein tragisches Schicksal sich auswirken, immer weitere Kreise zieht und ein Tätigkeitsgebiet nach dem anderen sich untertänig macht: wir meinen die Entseelung des Arbeitsprozesses. […] [Die Handwerker früher] schufen als frei schaltende und gestaltende Menschen, […] sie schufen ein Ganzes, wie sie selbst als Ganzes, als Individuum, das heißt als ungeteilte Persönlichkeit, ihrer Arbeit gegenüberstanden. – Der „Segen“ unserer technischen Kulturentwicklung hat das geändert. An die Stelle des lebenden und geliebten Gerätes ist eine tote Maschine getreten, an Stelle der schaffenden Persönlichkeit ein Teilfunktionär, an die Stelle der lebendig wechselvollen Arbeit eine monotone Verrichtung, an die Stelle des in sich fertigen Produktes ein Teil des Ganzen, oder ein Teil des Teiles oder noch weniger. Die Seele schwingt nicht mehr mit, wenn die Räder surren, das Herz bleibt kalt, wenn auch das Stückgut sich formt, das Streben nach Selbstvervollkommnung hört auf, wo der Mechanismus arbeitet, der Ehrgeiz erstirbt, wo Massenabsatz kommandierende[r] Richtpunkt [ist] und wo der einzelne in der Masse der Mitarbeiter verschwindet. Die Lust an der Arbeit schlägt in ihr Gegenteil um. Mechanisierung und Korporation haben der Arbeit ihren individuellen Charakter genommen. Die Vervollkommnung des Geräts nimmt dem Menschen eine Arbeit nach der anderen „aus der Hand“, macht ihn überflüssiger, ersetzlicher, entbehrlicher […]. Welche Tragik in diesem „Fortschritt“! Diskussionen um Vor- und Nachteile der Arbeitsteilung in Industriebetrieben sind nach wie vor aktuell, wie ein Blick auf einen Ausschnitt der auf Erläuterung wirtschaftlicher Begriffe spezialisierte Internetplattform www.oeconomix.de zeigt: Markt und Wandel – Vor-und Nachteile von Arbeitsteilung Arbeitsteilung ist ein wesentliches Merkmal wirtschaftlichen Handelns. Sie geht mit Vor- und Nachteilen einher, die schon früh beschrieben worden sind. Klassisches Beispiel für die positiven Wirkungen der Arbeitsteilung ist das Stecknadelbeispiel [des Ökonomen] Adam Smith, das er 1776 veröffentlichte. Danach kann ein einzelner Arbeiter an einem Tag nur wenige Stecknadeln herstellen, wenn er alle Arbeitsschritte alleine vollbringen muss. Wird dage- gen die Arbeit in mehrere Handgriffe aufgeteilt, können nach Beobachtung von Adam Smith zehn Arbeiter Tausen- 2 4 6 8 10 12 14 16 2 4 Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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