Sprachräume 3, Deutsch für die AHS-Oberstufe, Schulbuch

SPrACHrAuM 9  Dichten vom Realismus bis zum Expressionismus 114 Dichten vom Realismus bis zum Expressionismus Literatur von der zweiten Hälfte des 19. bis in die Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts wird Ihnen hier präsentiert: Realismus und Naturalismus, das „Fin de Siècle“ mit einem Österreichschwerpunkt und der Expressionismus. 4uu3ir Sprachraum 9 Literarische Bildung Maturatextsorten: Textanalyse, Textinterpretation „Die Welt ist einmal, wie sie ist …“ – Der poetische Realismus DIE ABSICHT DER AUTORINNEN UND AUTOREN Das Jahr 1848: Die Revolution der Bürgerinnen und Bürger scheitert nach anfänglichen Erfolgen; die Fürsten und Monarchen können die Forderungen nach mehr demokratischen und individuellen Rechten zwar auf Dauer nicht mehr verhindern, aber noch für Jahrzehnte aufhalten. „Siegreich“ ist eine andere Revolution, die „industrielle“ Revolution. Handwerker und kleine Betriebe werden von großen Fabriken verdrängt, die sich in den Städten konzentrieren und mit effektiven Maschinen billiger und schneller produzieren können. So ziehen auch viele Menschen in die Stadt, um ihre Arbeitskraft, das einzige, was sie besitzen, anzubieten. Wenn auch das Bürgertum nicht an politischer Macht gewonnen hat, so ist es doch der große Nutznießer dieser wirtschaftlichen Entwicklung. In dieser Situation glauben die Autorinnen und Autoren nicht mehr daran, dass die Literatur, so wie es die Klassik erhoffte, die Menschen zu mehr Humanität führen könnte. Abgelehnt werden auch die Ideen der Romantik, dass Dichtung die Welt poetischer und eben „romantischer“ machen könnte. Nicht viel hält man auch vom Jungen Deutschland, das meint, dass die Literatur direkt politisch wirken solle. Ziel des poetischen Realismus – manchmal auch als „bürgerlicher Realismus“ bezeichnet – ist es, eine dichterische Darstellung der Wirklichkeit zu liefern, ohne Parteinahme, ohne Idealisierung, aber auch ohne einen „nackten“ Realismus. Das soziale Elend der Zeit und dessen Schattenseiten bleiben weitgehend ausgeblendet. Damit sich die Dichtung von bloßer Berichterstattung unterscheidet, soll sie die Wirklichkeit „verklären“. Diese „Verklärung“ garantiert, dass die von der Dichtung geschaffene Realität Abstand von der tatsächlichen Wirklichkeit hat und damit Dichtung und Kunst bleibt. Dass die Realisten aber damit keine Realitätsverschleierung betreiben, zeigen ihre Themen: die gesellschaftliche Situation der Frau, der Widerspruch zwischen der zur Schau gestellten Moral und dem tatsächlichen Verhalten, die Auswirkungen der sozialen Veränderungen. Die Realisten verzichten aber darauf, für diese Fragen politische oder gesellschaftliche Lösungen anzubieten. Oft gehen die Stoffe der Romane und Erzählungen, der vorherrschenden Gattungen des Realismus, von wahren Begebenheiten aus. EINE ÖSTERREICHERIN UND ZWEI ÖSTERREICHER ALS BEISPIELE FÜR DEN REALISMUS Marie von Ebner-Eschenbach: „Krambambuli“ Der Roman „Das Gemeindekind“ ist wohl das „modernste“ Werk der Autorin. Das Kind, das widerwillig von der Gemeinde versorgt und hin- und hergeschoben wird, ist Pavel Holub. Sein Vater wurde wegen Raubmordes gehenkt, seine Mutter mit 10 Jahren Gefängnis bestraft. Doch trotz dieser negativen Ausgangslage und vielen, auch selbstverschuldeten Rückschlägen, gelingt Pavel der Aufstieg zu einem respektierten Mitglied des Dorfes. Der Roman widerlegt die Meinung, dass negative Eigenschaften und Verhaltensweisen vererbt würden, und übt Kritik an der negativen Einstellung gegenüber Kindern aus „Problemfamilien“, den Vorurteilen, denen sie ausgesetzt sind, und ihrer Abschiebung. Weder Kirche noch Adel noch Dorf werden von der Kritik der Autorin verschont. Die bekannteste Erzählung Ebner-Eschenbachs ist „Krambambuli“. Aus Wacholder, in manchen Gegenden „Kranewitt“ genannt, wird vielerorts Schnaps gemacht. Zu „Kranewitt“ gehört auch das Wort Krambambuli, das einen solchen Schnaps bezeichnet. Für 12 Flaschen Wacholderschnaps erhält der Jäger Hopp im Wirtshaus den Hund „Krambambuli“ von einem Vagabunden, welcher wegen seiner Haarfarbe „Der Gelbe“ genannt wird. Der Kauf ist vollzogen, Hopp verlässt das Wirtshaus: Nur zu Prüfzwecken – Eigentum des Verlags öbv

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